Laut den Medien zählt John T. Draper zu den Top Ten-Hackern der Welt. Nicht ohne Grund. In den späten 60er Jahren schrieb John Hackergeschichte. Er ist einer der ersten Telefonhacker, oder wie man in der Szene sagt: Phreaker (Phone-Freak). Jemand, der sich auf das Hacken von Telefonleitungen spezialisiert hat.
Auf den ersten Blick scheint John Draper ein alter Mann um die siebzig zu sein. Weißer Bart, keine Zähne am Oberkiefer. Dass er gerade erst vierundfünfzig Jahre alt ist, würde man nicht vermuten. «ja, ich weiß, ich sehe älter aus, aber ich bin topfit». Er fühlt sich hier wohl in Köln. Er war schon einmal in Deutschland. «Ich werde oft zu Hackertreffen weltweit eingeladen», sagt er beiläufig. Die Frage, ob er schon den Kölner Dom gesehen hat, ignoriert er. Es scheint ihn vielmehr zu interessieren, wo das nächste Internet-Café ist, damit er seine eMails abholen kann. Nur der Regen in Köln scheint ihn zu stören. «In Kalifornien haben wir 50 Grad Celsius».
Der Anlass für sein Kommen ist die Lesung der Autoren des neuen Buches „Hackertales“. John wurde eingeladen, um bei der Lesung im Kölner Mediapark über seine Telefonhacks in den 70er Jahren zu erzählen. Sein Markenzeichen ist eine Spielzeugpfeife aus der amerikanischen Müslipackung „Cap’n Crunch“. Von dort hat er auch seinen Spitznamen, der weltweit bekannt wurde. Diese Pfeife erzeugte zufällig denselben Ton, mit denen die amerikanische Telefongesellschaft Ma Bell die Gebührenübermittlung steuerte. Seine eigene Pfeife hat er längst verkauft: «Bei eBay für 300 Dollar».
Die Diskussion um das kostenlose Telefonieren brachte eine neue Subkultur von Telefonhackern hervor, die sich nichts anderes zum Ziel gesetzt hatten, als ständig nach Schwachstellen im Telefonnetz zu suchen. Der Hackerjargon füllte sich mit neuen Begriffen, wie „Brute Force“ – hacken durch pausenloses Ausprobieren. Die „Phreaker“-Szene wurde nicht nur das Schreckgespenst der amerikanischen Telefongesellschaften, die im Laufe der Jahre unzählige Millionen Dollar Schaden zu beklagen hatten. Das Phreaken weckte die Begeisterung von zahllosen Hackern bis in die 90er Jahre, wobei schließlich auch die Deutsche Telekorn und weitere Telefongesellschaften aus der ganzen Welt betroffen waren. Johns Geschichte wird wie eine Legende weiter erzählt und es gibt kaum eine Hacker-Website über die Phreaker, wo sein Name nicht auftaucht.
Aus dem Leben
In seinen jungen Jahren studierte John Ingenieurwesen und verbrachte seine restliche Zeit damit an Radios herumzubasteln. Es war aber die Entdeckung eines blinden Jungen namens Dennie, der durch sein herausragendes Gehör und dem kindlichen Ausprobieren herausfand, dass Telefonleitungen mit Tönen manipuliert werden konnten. Er ist der erste Phreaker der Welt. Schon beim ersten Kontakt mit John bezeichnete Dennie sich selbst als Telefonfan. Zu dieser Zeit hätte er wohl kaum selbst geahnt, dass dieser Begriff sich zu einem Oberbegriff der Hackerszene entwickeln würde. «Ich hatte nicht verstanden, wie man Fan von einem Telefon sein konnte. Das klang ziemlich blöd», erzählt John über seinen ersten Eindruck von Dennie. Dennie, der selbst noch ein Teenager war, führte John vor, wie man Telefonleitungen mit Tönen einer Orgel manipulieren konnte. Zwei Puzzleteile hatten zusammen gefunden. Das, was von nun an geschah, war ein abschreckendes Beispiel für alle Telekommunikations-Firmen.
»Im Grunde war es Johns Neugier, die ihn dazu antrieb, von nun an Gerätschaften zu basteln, die weitere Töne erzeugten. Er brachte damit den gesetzten Stein Dennies zum Rollen. Das Geheimnis jedoch ließ John nicht lange auf sich sitzen. Mit einigen weiteren Freunden gelang es ihm schneller Fortschritte zu erzielen. In seiner Gutgläubigkeit ahnte John nicht, dass das anvertraute Geheimnis sich hinter seinem Rücken langsam aber sicher verbreitete. Es sei vor allem der Unverantwortlichkeit anderer zu verdanken, sagt er, dass das Geheimnis um das „Blue Boxing“ (so wird die Methode heute genannt) sich wie ein Lauffeuer verbreitete. «Ich meine, das war einfach unglaublich. Du konntest dich sogar in Gespräche einklinken und lauschen» – in der Phreakersprache „Tab-Intro“ genannt. Gerade das Eintauchen in ein anderes Gespräch, wurde zu damaligen Zeiten den Kommunikationsfirmen als großes Sicherheitsloch zum Vorwurf gemacht.
Wenn John einmal loslegt, ist er kaum aufzuhalten. Die Euphorie ist in seinen Augen geschrieben. «Ich wollte ausprobieren und schauen, was noch alles möglich war». Mit einer selbsterhackten, geheimen Nummer gelang es ihm sogar an weitere Durchwahlnummern von Mitarbeitern des Weißen Hauses zu gelangen. Dort gab er sich als Mitarbeiter aus und ließ sich zu dem damaligen amerikanischen Präsidenten Nixon weiterverbinden: «Sir, wir haben einen Notfall. Das Toilettenpapier auf dem Klo ist alle!». Doch das war alles vor seiner Verhaftung.
Die Neugier an der Technik verlor an Motivationswert. Straßendealer verkauften das Geheimnis weiter an Immigranten, die gerne ihre entfernten Verwandten anrufen wollten. Auch die organisierte Kriminalität bekam Interesse an dem Blue-Box-Geschäft, das kostenloses Telefonieren ermöglichte und trotzdem die Kassen klingeln ließ. Jedoch klingelte es an der falsche Stelle, denn die Telefongesellschaften schrieben von nun an rote Zahlen.
Eingesperrt
Ein Schuldiger musste bald her und ein Exempel statuiert werden. John würde als Erfinder des Blue Boxings und Verursacher ein gutes Bild abgeben. So zumindest rechnete die amerikanische Telefongesellschaft Ma Bell und ließ ihn auf direktem Weg anklagen. Johns Forschungsdrang brachte ihm eine Bewährungsstrafe von fünf Jahren ein, von denen er vier Monate im Staatsgefängnis Lompoc verbringen musste. Man hätte ihn nicht ins Gefängnis stecken sollen, erzählt er zeternd. Nach seiner Entlassung fand er sich nie mehr richtig in das normale Leben ein, gesteht er. Unbezahlte Mieten, kurzzeitige Jobs. Die meiste Zeit verbringt er seitdem bei Freunden oder auf der Straße. Seinen Gefängnisaufenthalt hat er nicht richtig verkraften können. «In Amerika steckt man dich nicht ins Gefängnis, um dich eines Besseren zu belehren. Den Leuten bist du egal». Die Enttäuschung kann man verstehen, wenn man die amerikanische Philosophie kennt, mit Kriminellen umzugehen. Das Wort „Rehabilitation“ kennt John nicht. Eher sind es Wörter wie „Snitch“, die John dort gelernt hat. «Es heißt, wenn du ein Snitch bist, wirst du entweder getötet, oder du wünscht dir tot zu sein». Um nicht als Snitch abgestempelt zu werden musste John den anderen Gefangenen das Geheimnis des kostenloses Telefonierens beibringen. Kriminelle, die nicht einmal lesen und schreiben konnten, hackten mit selbstgebastelten Geräten durchs Telefonnetz. Und während John sich in dieser Zeit zum Hackerheld entwickelte, stieg das Interesse an der Methode des Telefonhackens gigantisch. «Dadurch erst wurden die Leute auf das Blue Boxing aufmerksam.» – ein Teufelskreis für die Telefongesellschaften.
Nach seiner Entlassung erlangte er die Freundschaft von Steve Wozniak, dem Gründer von Apple Computer. An ihm glaubte er eine neue Vertrauensperson gefunden zu haben. Auch Steve, damals noch ein Student, machte sich mit John gemeinsam auf die Entdeckungsreise. «Der wollte nur Geld verdienen, um seine Firma auf die Beine zu stellen», sagt John mit einem Ausdruck, als wäre er verraten und zurückgelassen worden. Mit dem neu angeeignetem Wissen verkaufte Steve angeblich in großem Stil Blue Boxes an weitere Studenten. Als dann das FBI schließlich hinter die Sache kam, wurde wieder einmal John verhaftet. «Steve hat mich in große Schwierigkeiten gebracht».
Heute soll aber alles anders werden. jeden Abend trifft sich John mit seiner neuen Crew und entwickelt Sicherheitssysteme gegen Hacker. «Wir haben vielleicht einen großen Auftrag», schwärmt er, «In einigen Jahren werden wir den Weg weisen».
von Evrim Sen