Interpol fahndet nach dem Wikileaks-Gründer. Nicht wegen der Enthüllungen seines Internet-Portals, die zu immer neuen diplomatischen Verwicklungen führen, sondern weil er zwei Schwedinnen vergewaltigt haben soll. Und diverse US-Politiker fordern sogar dessen Tod.
Wo auch immer er am Computer saß, es muss ein paar kleine technische Probleme gegeben haben. Via Internet-Telefon meldete sich Julian Assange in New York zu Wort. 36 Minuten sprach er mit Redakteuren des Magazins „Time“, die das Interview aufzeichneten und kurze Passagen ins Internet stellten. Die Verbindung war so schlecht, dass es sich anhörte, als habe ein Roboter am anderen Ende der Leitung gesessen.
Die Botschaft indes ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Hillary Clinton, forderte Assange, müsse ihren Hut nehmen als Außenministerin, wenn sich nachweisen lasse, dass sie ihre Diplomaten angewiesen habe, bei den Vereinten Nationen zu spionieren.
Wo sich das Phantom gerade aufhält, wissen nur wenige Eingeweihte. Der britische „Guardian“ ortet den Wikileaks-Chef, der sein genaues Geburtsdatum geheim hält und ständig seine Telefon-Nummern wechselt, irgendwo in der Nähe von London, was freilich auch nur eine Vermutung ist. Man darf annehmen, dass er fast jede Nacht das Quartier wechselt, in Privatwohnungen von Freunden oder Sympathisanten schläft. Er dürfte aus dem Seesack leben, der bei ihm meist den Koffer ersetzt.
Zweifel an Vergewaltigungsvorwürfen
Die internationale Polizeiorganisation Interpol setzte Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden auf die Fahndungsliste. Assanges schwedischer Anwalt Björn Hurtig legte Beschwerde gegen den bereits am 18. November erlassenen Haftbefehl ein.
Es gibt Zweifel daran, ob die Vergewaltigungsvorwürfe haltbar sind. Eines der vermeintlichen Opfer gehört zur Feministen-Gruppe innerhalb der schwedischen sozialdemokratischen Partei. Vertreter der Parteigruppierung deuteten gegenüber unserem Korrespondenten an, dass die junge Frau die Annäherungsversuche Assanges nicht als solche zurückgewiesen habe, sondern dass Assange gegen den Willen der Frau kein Kondom benutzt habe.
Anhänger von Assange streuen das Gerücht, hinter den Vergewaltigungsvorwürfen stecke der US-Geheimdienst CIA. Der lange Zeit weitgehend unbekannte Computerhacker hat spätestens mit der Veröffentlichung von Protokollen aus dem Irak- und Afghanistankrieg in diesem Jahr die USA herausgefordert.
Ex-Gouverneur für Hinrichtung
Und nun scheint sich die Schlinge immer mehr zuzuziehen. Diverse US-Politiker jedenfalls sagen ganz offen, was sie von Assange halten und wie mit ihm zu verfahren sei, wie in britischen und amerikanischen Medien zu lesen ist. Ganz vorn steht dabei der Ex-Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee. Der Republikaner plädiert dafür, den Wikileaks-Gründer wegen Verrats anzuklagen und hinzurichten.
Ähnlich äußerte sich auch ein früherer Berater des kanadischen Premierministers. Tom Flanagan erklärte mit einem Lachen in einem Fernsehinterview, Assange sollte getötet werden, und US-Präsident Barack Obama könnte dafür ja eine Drohne oder Ähnliches benutzen.
Inzwischen, so berichtet der US-Sender CBC, bedauere Flanagan seinen unbedachten Kommentar. Es sei gedankenlos gewesen, erklärte er gegenüber dem Sender. Er habe niemals beabsichtigt, die Ermordung Assanges zu befürworten. Aber er denke, der Wikileaks-Gründer mache bösartige Dinge, und die sollten gestoppt werden.
Auch Sarah Palin mischte sich in die Debatte ein und schrieb auf ihrem Facebook-Account, Assange sollte wie die Al Qaida behandelt werden. Laut dem britischen „Telegraph“ schrieb sie: „Warum wird er nicht mit der gleichen Dringlichkeit verfolgt wie Al Qaida oder die Taliban-Führer?“
Kathleen Troia McFarland, die etwa unter der Regierung Reagan nationale Sicherheitsposten innehatte, bläst in das gleiche Horn.Wie der „Telegraph“ schreibt, seien Assange und seine Hacker nach ihrer Ansicht Terroristen und müssten wie solche behandelt werden.
Server steht in Schweden
Der schlaksige Assange mit den langen, einst platinblonden Haaren, die er inzwischen gekürzt und braun gefärbt hat, fordert für die Öffentlichkeit das Recht ein zu erfahren, was sich auf den Fluren der Macht wirklich zuträgt. „Wir wollen drei Dinge“, sagte Assange im August. „Die Presse befreien, Missstände aufdecken und Dokumente retten, die Geschichte machen.“
Assange nutzt Schweden als Basis für Wikileaks, weil das Land besonders strenge Regelungen zum Schutze der Pressefreiheit hat. Der Server von Wikileaks steht in einem unterirdischen Bunker in Schweden. Wo der Australier das nötige Geld auftreibt, um sein Computersystem am Laufen zu halten, ist eine Frage, bei der die Spekulationen nur so ins Kraut schießen. Wilde Verschwörungstheorien machen die Runde, die vielleicht wildeste besagt, dass die CIA hinter Wikileaks steht.
Auf diese Weise, lautet die These, könne der Geheimdienst in Langley, versteckt hinter der Fassade eines kompromisslosen Amerikakritikers, gezielt Informationen streuen. Pikante Indiskretionen, die etwa den diplomatischen, geduldigen Ansatz Barack Obamas im Atompoker mit Iran aus der Bahn werfen sollen. Im wahren Leben scheint das mit dem Geld wesentlich einfacher zu sein. Als Wikileaks nach Ostern das aufsehenerregende Video über eine Hubschrauberattacke auf Zivilisten in Bagdad präsentierte, sammelte Assange binnen kürzester Zeit über 200.000 Dollar ein.
Das Gros der Summe kam von Kleinspendern, denen imponierte, wie mutig er aufdeckte, was die US-Armee unter den Teppich kehren wollte. Dank des Dollarsegens konnte er seine Website – nach Monaten in einer Art Notbetrieb – wieder auf Vordermann bringen.
Quelle : http://www.rp-online.de/politik/ausland/Julian-Assange-das-Phantom-von-Wikileaks_aid_937584.html