Millionen Deutsche schauen Filme mithilfe von illegalen Portalen im Internet, für wenig Geld oder umsonst. Die Betreiber verdienen hervorragend – und bleiben im Dunkeln. Eine Spur führt nach Berlin.
Von Florian Flade und Lars-Marten Nagel
Mehr als 3,5 Millionen Menschen haben den Actionfilm „Fast and Furios 6“ gesehen. „Hangover 3“ hatte bislang mehr als eine Million Zuschauer, der neue „Star Trek“ rund zwei Millionen.
Sie sind dafür nicht ins Kino gegangen. Sie mussten dafür nicht bezahlen. Nur den Computer anschalten, eine Webseite aufrufen. Ein paar Klicks, Film ab.
Es handelt sich um Klickzahlen, die das illegale Streamingportal Kinox im Internet veröffentlicht. Kinox ist eine von zahlreichen Seiten, die Hollywood-Blockbuster und aktuelle Fernsehserien ohne Rücksicht auf Urheberrechte im Netz präsentieren. Zwar ist die Bildqualität nicht immer perfekt, aber für den Nutzer ist Kinox so etwas wie eine unerschöpfliche Mediathek. Leicht zu bedienen.
Und nach deutscher Rechtslage für den Filmfan ungefährlicher, als urheberrechtlich geschützte Werke in Tauschbörsen herunterzuladen. Unklar ist, wer hinter dem Angebot steht, das Filmwirtschaft und Staatsanwaltschaften alarmiert.
Die eindeutige Ausrichtung auf deutsche Zuschauer aber ist ein starkes Indiz, dass die Fäden des illegalen Filmstreamings irgendwo in Deutschland zusammenlaufen. Und es ist nicht das einzige.
Streamingportale sind erfolgreich
Für Schlagzeilen sorgte erst kürzlich das beliebte Streamingportal Movie2k, das erst vor etwas mehr als zwei Wochen dichtmachen musste – vermutlich wegen Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Andere Portale sind hingegen weiterhin online und profitieren von dem Ende von Movie2k.
So stieg die Reichweite von Kinox schlagartig an. Eine virtuelle Völkerwanderung setzte ein. Und eine, die vor allem auf deutschem Boden stattfindet: Mehr als 80 Prozent der Zuschauer kommen zurzeit aus Deutschland. Alle Altersgruppen sind vertreten, besonders stark die 18- bis 35-Jährigen. Kinox liegt mittlerweile in den Internetcharts auf Platz 26 der erfolgreichsten deutschen Webseiten, wie der Internetdienst Alexa ausweist.
Die Betreiber der Streamingportale geben sich gern als Robin Hoods der Internet-Gemeinde aus. „Das alles hier ist das Resultat eines kollektiven Bedürfnisses der Menschen nach kostenfreien Medien“, heißt es in einem Statement von Movie4k, dem Nachfolger von Movie2k.
Er tauchte nur wenige Tage nach Einstellung des prominenten Portals im Netz auf. Es scheint, als seien Erfolge der Justiz nie von langer Dauer. Verschwindet ein Portal, nimmt ein anderes seinen Platz ein. Die Macher wähnen sich sicher. Bei Movie4k begrüßen sie die Webseitenbesucher mit der Botschaft „F**k Police“.
Kriminelle Hintermänner vor Gericht
Bislang gelang es den Ermittlungsbehörden nur in einem einzigen Fall, ein Streamingportal zu zerschlagen: Kino.to – die Mutter aller deutschen Streamingseiten. Am 8. Juni 2011 bekamen die Betreiber überraschend Besuch von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Die Razzien in Deutschland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden waren möglich, weil ein Insider bei der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) ausgepackt hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ließ 13 Leute festnehmen, die hauptsächlich aus Leipzig operiert hatten.
Das Leipziger Landgericht verurteilte sechs Mitglieder der Bande zu Haftstrafen zwischen einem und viereinhalb Jahren. Wer die Seite fortan besuchte, konnte dort den Hinweis lesen: „Die Domain … wurde wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen geschlossen.“ Die Ermittlungen der Dresdner Staatsanwälte dauern noch immer an.
Der Fall von Kino.to verdeutlicht, dass es sich bei den Portal-Betreibern keineswegs um selbstlose Internet-Aktivisten handelt, sondern um arbeitsteilig operierende Kriminelle, denen es vor allem ums Geld geht. Dirk B., Gründer und Chef von Kino.to, hat mit dem Portal in drei Jahren mindestens 6,6 Millionen Euro eingenommen, hieß es in der Anklage.
Im Internet nur Spitznamen
Angesichts der drohenden Strafen überrascht es nicht, dass die Macher von Kinox, Movie2k und Movie4k alles tun, um unerkannt zu bleiben. Im Netz tauchen sie allenfalls mit Spitznamen auf. Ein Impressum haben die Streamingseiten auch nicht.
Im Prinzip funktioniert ein Portal wie Kinox als Datenbank von Links. Es speichert und spielt die Filme nicht selbst ab, sondern vermittelt die Nutzer zu sogenannten Hostern. Auf deren Webseite ist die Filmdatei dann abrufbar.
Die Trennung von Hostern und Portalen soll suggerieren, dass es sich beim Portal um eine legale Suchmaschine handelt. Tatsächlich aber sind Hoster und Portale stark voneinander abhängig. Ermittler der GVU nehmen an, dass es Geldflüsse zwischen beiden gibt.
Wahrscheinlich ist auch, dass die Betreiber mindestens eng zusammenarbeiten, wenn es sich nicht sogar um dieselben Personen handelt. Im Fall von Kino.to war das jedenfalls so, wie die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nachweisen konnte.
Geld verdienen trotz Gratis-Portalen
Wie Betreiber von Kinox und Co. Geld mit kostenlosen Streaming-Angeboten verdienen? Eine Quelle ist virtuelle Erpressung. Über die Seiten werden Viren und Trojaner verbreitet, die den Rechner des Kunden lahmlegen. Der soll Lösegeld zahlen, um den Computer wieder freizuschalten.
Die zweite, wohl weitaus wichtigere Einnahmequelle ist Werbung, die auf Bannern oder Pop-ups auftaucht. Es ist wie beim Privatfernsehen, die Werbung nervt, aber das Programm kostet zunächst einmal nichts. Zu guter Letzt können die Kunden einen Premium-Account kaufen und so die Werbung reduzieren und die Bildqualität der Filme erhöhen.
Die amerikanische Komödie „Hangover 3“ etwa wird bei Kinox verlinkt mit der Bemerkung: „Kinox.to speichert keine Filme selber! Dieser Stream wird gehostet bei BitShare.com.“
Nur einen Klick weiter, und der Nutzer landet auf der Webseite von BitShare. Hier kann er wählen, ob er den Film gratis in geringer Auflösung sehen will oder gegen Aufpreis in hoher Bildqualität. Der Premium-Zugang kostet 9,99 Euro im Monat, die Jahresflatrate 89,99 Euro.
Klickzahlen gehen in die Millionen
Bei dem Hoster dürften stattliche Summen zusammenkommen, wie ein Rechenbeispiel zeigt. Laut Streamingportal Kinox haben mehr als 800.000 Menschen „Hangover 3“ via BitShare angeklickt. Wenn nur jeder zwanzigste Zuschauer die 9,99 Euro für einen Premium-Zugang bezahlt hat, wären das insgesamt fast 400.000 Euro.
BitShare hatte diese Woche auch „Der große Gatsby“, „Star Trek Into Darkness“, „Iron Man 3“ und viele mehr im Angebot. Die Klickzahlen gehen in die Millionen. Und der Hoster beschränkt sich nicht nur auf Kinox. Er ist gegenwärtig auch mit sehr vielen Filmen bei Movie4k zu finden.
BitShare, die zumindest eine E-Mail-Adresse im Internet angeben, hat die Fragen der „Welt am Sonntag“, wer Chef der Firma ist und wie das Geschäftsmodell funktioniert, nicht beantwortet. Staatsanwälte und Privatfahnder der Filmwirtschaft glauben, dass der Weg zu den Hintermännern der Portale über die Hoster und die Zahlungswege führt. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.
BitShare hat seinen Sitz im lateinamerikanischen Belize. Das Land ist für seine Strände bekannt, nicht aber für eine strikte Finanz- oder Gewerbeaufsicht. Yesload, lange Zeit bei Movie2k führender Hoster, sitzt auf den Seychellen. BitShare und Yesload sind, so scheint es, unerreichbar für die deutsche Justiz. Wäre da nicht diese Verbindung nach Deutschland.
Spur des Geldes führt nach Berlin
Berlin-Friedrichshagen liegt zwar auch am Wasser, am Müggelsee, erinnert aber nur sehr entfernt an tropische Traumstrände. Statt Kokosnuss-Cocktails gibt es hier Holunder-Prosecco im „Familien-Restaurant“ um die Ecke. Statt karibischer Piraten trifft man allenfalls die „Müggel-Räuber“ aus der Kindertagesstätte. Und dennoch gibt es eine Verbindung von Yesload und BitShare zu einem mintgrünen Flachbau in der Scharnweberstraße.
In einem Hinterhof, abgesichert von einem halben Dutzend Überwachungskameras, befindet sich ein schmuckloses Gebäude mit winzigen Fenstern. Drinnen brummt eine Kühlanlage. Micropayment GmbH steht auf dem Klingelschild.
Es handelt sich um den Berliner Ableger der schweizerischen Micropayment AG. Die Firmen bezeichnen sich als „technische Dienstleister“, sie bieten Zahlungsabwicklung im Internet oder per Handy an. Nach eigenen Angaben haben sie rund 20.000 Kunden, darunter etwa eine namhafte deutsche Airline.
Ihre Chefs – Andreas Richter (Geschäftsführer der Micropayment GmbH) und Claudia Steinmetz (Verwaltungsrätin der Micropayment AG) – sollten eigentlich etwas mehr über die mysteriösen Hintermänner von BitShare und Yesload wissen, denn sie machen mit ihnen Geschäfte.
Konto wurde eingefroren
Die Micropayment AG ist Inhaberin von mindestens zwei Bankkonten, auf die Vorkasse-Kundengelder der Hoster fließen oder geflossen sind. Es handelt sich um Bankkonten bei der Commerzbank in Berlin.
Darauf gestoßen sind Rechercheure der Anwaltskanzlei SKW Schwarz aus München. Sie vertritt eine Vertriebsfirma für Filme, die einen der eigenen Horrorfilme beim Hoster Yesload auf den Seychellen entdeckt hatte. „Wir haben daraufhin das Konto bei der Commerzbank per Gerichtsbeschluss einfrieren lassen“, sagt Anwalt Ulrich Reber von SKW.
Reber will von dem Konto (Nummer 524707704) Schadenersatz für seinen Mandanten einziehen lassen. „Außerdem haben wir eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen gewerbsmäßiger Urheberrechtsverletzung und Geldwäsche gestellt.“ Die Staatsanwaltschaft München hat das Verfahren mittlerweile an die Berliner Kollegen weitergegeben. Die Commerzbank will sich zu der ganzen Angelegenheit nicht äußern.
Kurz nachdem das Landgericht Berlin im März den Konto-Arrest angeordnet hatte, erhielt Anwalt Reber Post. Nicht von Yesload. Sondern von der Berliner Micropayment GmbH. Sie teilte ihm mit, die Geschäftsbeziehungen zu Yesload beendet zu haben.
„Der Hoster verschwand aus dem Internet, seine Filme aus dem Streamingportal“, beobachtete Reber kurz danach. Hat das Kappen des Finanzstroms möglicherweise ausgereicht, um den fragwürdigen Anbieter abzuschalten?
Micropayment äußert sich
Micropayment hat im Fall Yesload auf Druck von außen reagiert. Bei BitShare fehlt ein vergleichbares Engagement bislang. Ein Test der „Welt am Sonntag“ zeigte am Dienstag, dass Kunden von BitShare den Premium-Service über ein Konto der Micropayment AG (Nummer 524707707) bei der Commerzbank Berlin West bezahlen können.
Auffällig ist, dass sich die Kontonummer nur in der letzten Ziffer vom Yesload-Konto unterscheidet. Das könnte dafür sprechen, dass die Konten zeitgleich von derselben Person oder Firma eingerichtet wurden. Daraus wiederum könnte folgen, das hinter verschiedenen Hostern dieselben Leute stecken.
Die „Welt am Sonntag“ wollte von bei den beiden Micropayment-Firmen mehr über die Konten der Hoster, ihre Hintermänner und die Geldtransfers erfahren. Andreas Richter, der Geschäftsführer der GmbH, räumte am Telefon ein: Ja, Yesload sei kurzfristig Kunde gewesen.
Das Controlling von Micropayment sei „auf Probleme“ aufmerksam geworden und hätte Yesload daraufhin abgeschaltet. Über den Konto-Arrest sagte er nichts.
Im Hinblick auf weitere Streaminghoster unter den Micropayment-Geschäftspartnern betonte Richter: „Wir können nichts für die Sünden unsere Kunden.“ Micropayment habe sich in der Vergangenheit gegenüber den Behörden kooperativ gezeigt, behauptete er. „Wenn die Steuerfahndung oder die Staatsanwaltschaft bei uns anfragt, dann antworte ich, weil ich dann antworten muss.“
Früher im Dialer-Geschäft tätig
Richter ist in der Welt der Online-Geldgeschäfte kein Unbekannter. Vor zehn Jahren geriet seine damalige Firma Mainpean GmbH in die Schlagzeilen. Sie war im Erotik-Webcam- und -Dialer-Geschäft aktiv.
Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, die Vorläuferin der heutigen Bundesnetzagentur, entzog 400.000 Mainpean-Dialern die Registrierung. Der damalige Präsident der Behörde begründete den Schritt mit Mängeln „im Hinblick auf Transparenz und Verbraucheraufklärung“.
Richter war zunächst zu einem Treffen bereit, sagte aber kurzfristig ab. Stattdessen meldete sich eine Anwältin. Auf einen Katalog mit Fragen antwortet sie kurz angebunden: Micropayment habe über den Betrieb der Streamingportale Kinox, Movie2k und Movie4k „keine eigenen über die aus Presseveröffentlichungen hinausgehenden Erkenntnisse“. Auch über die Hoster wisse man nichts.
Sind die Geschäftspartner von den Seychellen oder aus Belize persönlich bei Micropayment-Mitarbeitern vorstellig geworden? Oder wie sonst haben sie sich bei Vertragsabschlüssen identifiziert? Diese Fragen lässt die Anwältin offen.
Auch, wohin die Gelder auf den Commerzbank-Konten weitertransferiert werden, mag sie nicht sagen: „Die Beantwortung Ihrer weiteren Fragen zu weiteren Firmeninterna ist uns vertraglich nicht gestattet“, erklärte sie. Bei der Anfrage einer Staatsanwaltschaft müsste Micropayment diese Daten wohl preisgeben.
Auffällig häufig wechselnde Namen
Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ aus dem Umfeld des Unternehmens liegen die jährlichen Umsätze auf den Konten im einstelligen Millionenbereich. Das Geld fließt sowohl in Deutschland als auch im Ausland an Unternehmen mit auffällig häufig wechselnden Namen. Mehr ist bislang nicht zu erfahren.
Inzwischen interessiert sich aber auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für den Internet-Zahlungsabwickler. Sie prüft nach eigenen Angaben zurzeit, ob „die Micropayment GmbH das erlaubnispflichtige Finanztransfergeschäft betreibt“ und dafür eine Lizenz benötigt. Die Frage nach der Lizenz hat Micropayment nicht beantwortet.
Am Donnerstag läuft in deutschen Kinos die neue Superman-Verfilmung „Man of Steel“ an. Es wird wohl nicht lange dauern, bis der Film bei Kinox und BitShare auftaucht. Millionen werden klicken und einschalten. Und dann wird die Kasse wieder klingeln in Belize. Und dort, wo die wahren Hintermänner sitzen.
Quelle : welt.de