„We attack, adapt, improvise and survive!
We are FairLight and will continue to be FairLight.
FairLight IS the delight of ETERNAL might!“
Selbstdarstellung der Release Group FairLight
Für ihre Mitglieder stellt die Release-Szene eine ganz eigene Welt dar. Ihre Untergrundgemeinschaft ist aus rechtlicher Sicht zwar durchaus als kriminell zu bezeichnen, dabei ist sie aber mit kaum einer anderen illegalen Organisation zu vergleichen. Ihr Streben gilt nicht finanziellem Profit. Und dennoch stellt sie für ihre Mitglieder mehr als nur ein Hobby dar. Viele Mitglieder sind geradezu besessen von der Szene.
Das Leben in der Szene gleicht einem stetigen Wettlauf mit der Zeit. Das ultimative Ziel ist es, nicht nur den anderen Gruppen zuvorzukommen, sondern auch den vom Hersteller vorgesehenen Veröffentlichungstermin zu unterbieten. Die Release Groups geben sich erst dann zufrieden, wenn die Kopie veröffentlicht wird, noch bevor sie im Handel erworben werden kann.
Die Release Groups sind dabei selten über die aktuellen Bemühungen ihrer Konkurrenzgruppen informiert, wenn es darum geht, eine Kopie zu releasen. Sie wissen nicht, ob nicht auch eine andere Gruppe kurz davor steht, das gleiche Release zu veröffentlichen. Ihre größte Furcht ist es, daß eine andere Group ihnen mit einem Release zuvorkommt, an dem sie selber gerade arbeiten. Schon wenige Minuten können hier über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Dieser Wettbewerb mit seinem enormen Zeitdruck führt dazu, daß nahezu jede neue Software, jeder Film und ein Großteil der Musikveröffentlichungen spätestens am Tag ihres Erscheinens in der Release-Szene verbreitet werden. Die Anzahl dieser 0-Day-Releases, die vom Erscheinungsdatum des Originals gerechnet nicht älter als 24 Stunden sind, steigt von Jahr zu Jahr. Jährlich dürften über 100.000 0-Dayz erscheinen.2 Somit werden jeden Tag Hunderte Schwarzkopien von Release Groups freigesetzt.
Um den Überblick zu behalten, pflegt die Szene ihre eigenen Online-Datenbanken. Dort werden die aktuellen Veröffentlichungen der Release Groups aufgelistet. Diese Datenbanken (in der Szene Dupecheck oder Checkpoint genannt) sollen einerseits verhindern, daß eine bereits releaste Kopie erneut veröffentlicht wird. Andererseits dienen sie als Rangliste und zeigen die Reputation einzelner Gruppen in der Szene an.
Immer noch tragen die Release Groups geheimnisvoll klingende Namen und agieren wie konspirative Vereinigungen. Einige von ihnen existieren seit fast zwanzig Jahren. Zwar ist ihre ursprüngliche Besetzung schon lange nicht mehr vorhanden, doch ihr Gruppenname wird von neuen Mitgliedern mit Stolz weitergetragen. Diese Gruppen sind die Legenden der Szene. „FairLight“ oder „Centropy“ sind sogar Gelegenheitskopierern ein Begriff. Die Namen bekannter Gruppenmitglieder sind für Außenstehende einfach nur seltsame Pseudonyme, in der Szene dagegen spricht man über sie wie über Popstars. Immer wieder schaffen es aber auch neue Gruppen, sich einen Namen in der Szene zu machen.
Die Motivation der Szenemitglieder liegt in der Anerkennung der Szene. Genauso wie die Szenemitglieder einst diejenigen Gruppen bewundert haben, die ihnen die kostenlose Nutzung jeder erdenklichen Software ermöglichten, möchten sie eines Tages selbst bewundert werden. Finanzieller Profit oder Schädigung der Hersteller liegen ihnen dagegen fern. „Die Gruppen sehen ihr Handeln als Sport“, erläutert Szenemitglied Predator die Motivation der Release Groups. „Jedes Spiel ist für uns ein Rennen, aus dem die Group als Sieger hervorgeht, die zuerst eine funktionsfähige Schwarzkopie vorstellt. Als Prämie winkt kein Geld, sondern die Anerkennung der Szene.“3
Die Subkultur der Release-Szene ist dabei der Graffiti-Kultur recht ähnlich. Auch den Sprayern geht es mit ihren Tags darum, ihren Namen bekannt zu machen und sich die Anerkennung ihrer Szene zu erarbeiten. Die Beschädigung fremden Eigentums ist dabei nicht ausschlaggebend für ihr Tun, auch wenn Außenstehende dies immer wieder glauben.
Die Release-Szene ist in ihrem Handeln strukturiert. Es gibt klare Hierarchien, Regeln und Verhaltensweisen, die innerhalb der Szene eine große Bedeutung haben. Es ist genau festgelegt, welche Standards ein Release aufzuweisen hat und wie die Verbreitung ablaufen soll. Unter Stichwörtern wie Releasing Standards oder Release Rules finden sich im Internet Regelwerke, die solche Spezifikationen aufführen.4 In ihnen wird festgehalten, welchen Ablaufplan das Release eines Programms, Films oder Musikalbums einhalten muß. Die „Standard Rip Rules“ (S. R. R.) legen beispielsweise für das Release eines Computerspiels fest: „Das Release sollte von CD installiert werden und dann nur von der Festplatte laufen. Ziel ist das Starten von der Festplatte, nicht von CD.“5
Nur Warez, die diese strengen Anforderungen erfüllen, können die Anerkennung der Szene gewinnen. Hinzu kommt, daß Gruppen keine angemessene Verbreitung gewährleisten können, wenn sie sich nicht an derartige Ablaufpläne halten. Die Regelwerke dienen auch neuen Release Groups als Leitfaden für ihre ersten Schritte in der Szene.
Den Gruppen jedoch, die gegen diese Regeln verstoßen, wird der Respekt verweigert. Bei massiven Verstößen wird eine bereits bekannte Release Group in ihrem Ansehen degradiert. Hierunter leiden dann zwangsläufig auch deren Mitglieder. Nicht selten verlassen die aktivsten Mitglieder als Konsequenz die herabgestufte Gruppe, um zum Beispiel zu einer bekannteren zu wechseln.
Viele Scener nutzen jede Gelegenheit, eine schlecht arbeitende Gruppe zu diffamieren. Ein derartiger Rufmord kann dazu führen, daß deren Name innerhalb kurzer Zeit immer weniger Erwähnung findet und schließlich in Vergessenheit gerät. Absolut verpönt sind die Weitergabe oder gar der Verkauf von Warez an Außenstehende. Auch das Veröffentlichen fremder Releases unter eigenem Namen wird als anrüchig angesehen. Zudem sind auch diejenigen Gruppen vom Aussterben bedroht, die in der Szene immer weniger Releases haben und somit ihren Namen nicht weitertragen können.
Diese Struktur verdeutlicht, daß nicht der finanzielle Nutzen im Vordergrund stehen kann. Kriminelle Vereinigungen, die Profit aus ihrem Tun schlagen, erlassen keine strikten Richtlinien, um einen fairen Wettkampf zu gewährleisten. Eine organisierte Verbrecherversammlung, die festlegt, mit welchen Werkzeugen man Türen aufbrechen darf und mit welchen nicht, um am Ende dem Besten unter ihnen die verdiente Anerkennung zukommen zu lassen, wäre undenkbar. In der Release-Szene ist eine solche Vorgehensweise dagegen üblich. Es hat immer wieder gemeinsame Beschlüsse führender Release Groups gegeben, um Regeln zu aktualisieren und Vorschriften an neue Gegebenheiten anzupassen.6 Im März 2004 beispielsweise verabschiedeten die führenden Mitglieder der Release Groups Class, Myth und Divine unter dem Namen NSA (Network Software Association) ein detailliertes Regelwerk.7
Für viele Mitglieder ist die Szene zum digitalen Alltag geworden. Die meisten führen dabei eine Art Doppelleben. Auf der einen Seite sind sie normale Studenten oder gewöhnliche Angestellte mit Familie. Auf der anderen Seite, in der virtuellen Welt, sind sie vielbewunderte Mitglieder berühmter und weltweit agierender Release Groups. Auf der Straße oder im Supermarkt erkennt sie niemand, doch sobald sie über ihren Computer die Welt der Szene betreten, begegnen ihnen Menschen mit Respekt und Bewunderung. Sie sind die Stars der digitalen Szene. Einige von ihnen haben sich einen derartigen Ruhm erarbeitet, daß sie mittlerweile als Szenegötter angesehen werden. Bereits die Behauptung, eine dieser Leitfiguren persönlich zu kennen, kann einem Einsteiger die Aufnahme in eine Release Group ermöglichen.