Mega-Prison für Megaupload-Betreiber Kim Dotcom und die Macht der Industrie – Teil 2
In den USA üben Verbände immensen Druck aus. Ein bekannter Name in der Filmindustrie ist die Motion Picture Association of America (MPAA), die schon seit den 30er Jahren in den USA großen politischen Einfluss hat. Dazu gehören seit eh und je Unternehmen wie Walt Disney, Sony Pictures, Fox, Paramount, Universal und Warner. Zuletzt hat auch MPAA in Deutschland für Furore durch massenhafte Klagen gegen Filmpiraten gesorgt. Unter der gleichen Decke steckt der Verband Business Software Alliance (BSA), der von Unternehmen wie Apple, Cisco, IBM, HP, Microsoft, Intel, SAP und vielen mehr finanziert wird, damit er ihre Interessen in jeder Hinsicht rigoros durchsetzt.
Screenshot aus einem Megaupload-Werbeclip auf YouTube |
Das besiegelte Schicksal von Kim Schmitz. Mega-Prison für Megaupload-Betreiber Kim Dotcom und die Rolle des FBI – Teil 1
Gegen diese Maschinerie soll ein Verteidiger ankämpfen und seinen Mandanten vor einer langen Haftstrafe verschonen. Kaum verwunderlich, dass fast alle diese Verteidiger mittlerweile Vertreter dieser Konzerne und Verbände sind und für solche Fälle nicht mehr für den Angeschuldigten zur Verfügung stehen. Wem derartige Prozesse drohen, den möchte zudem kein Anwalt verteidigen, der jahrelang gebraucht hat, um sein Image und somit sein Wert in der amerikanischen Justiz zu steigern. Immerhin geht es hierbei nicht um eine medienpopuläre Lewinsky-Affäre. Kimbles Versuch, den weltbekannten Anwalt Robert Bennett für sich zu gewinnen, stößt bei ihm daher eher auf Bestürzung – die Absage des Verteidigers klingt wie „thanks, but no thanks“, wie der Amerikaner zu sagen pflegt, wenn er etwas ablehnt, aber dabei gleichzeitig die Höflichkeit wahrt. Übrig bleiben mehr oder minder erfolgreiche Einzelkämpfer-Anwälte, die lediglich ihren Job tun, wie es das System von ihnen verlangt.
Zumal sich die Frage stellt, womit Kim Schmitz oder Kimble noch das Honorar eines Anwalts bezahlen könnte. Derzeit wurde sein gesamter Besitz mehr als nur beschlagnahmt. Er soll sein Vermögen nie wieder zurückbekommen, so will es zumindest das US-Justizministerium. Dort gilt, wer aus illegalen Geschäften Geld erwirtschaftet, dem stehe dieses Vermögen nicht zu. Das geht auch aus der 72-seitigen Anklageschrift hervor.
Auf das Vermögen von Kimble wird ein Anspruch in Höhe von mindestens 175 Millionen Dollar erhoben. Das ist um ein Vielfaches mehr, als Kimble eigentlich gehabt hat. Und er kann auf nichts davon zurückgreifen, auch nicht während seiner Verhandlung. Er hat nichts. Er ist arm. Nicht nur menschlich, sondern auch finanziell. Schon wieder. Nur die Kosten der Verhandlung muss er nicht zahlen – schließlich ist der Kläger der Staat selbst. Welch eine Erleichterung.
Star-Staatsanwälte
Derweil gibt es in den USA Star-Staatsanwälte, die unter großem Erfolgsdruck stehen. Die immensen Kosten während der Ermittlungen des FBI müssen letztlich auch für den einzelnen Fall gerechtfertigt sein. Der Einfluss der Verbände und der politische Druck sind riesig.
Bekannt ist die Methode von derartigen Verbänden, ihre eigenen Leute in Positionen als Richter, Staatsanwälte und Senatoren zu drängen. Und wen wundert es da noch, dass der ermittelnde Oberstaatsanwalt Neil H. MacBride im Fall vom Megaupload ausgerechnet der ehemalige Vizepräsident der BSA selbst ist. Seinen Auftrag erhielt er Anfang 2009 persönlich von Barack Obama, um den weltweiten Kampf gegen Softwarepiraten aufzunehmen. Was wie aus einem verschwörerischen Film klingt, ist pure Realität: Die Ermittler handeln im direkten Auftrag des Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie im Interesse der nationalen Sicherheit und vertreten dabei das Interesse gigantischer Konzerne.
Unter der Unterschrift von MacBride in der Klageschrift lässt sich auch der bekannte Name des Staatsanwalts Jay V. Prabhu entdecken. Im Jahre 2002 war er der leitende Staatsanwalt im Fall gegen Danny Ferrer, dem Betreiber der Website BuysUSA.com, der dort, ähnliche wie Megaupload, illegale Software angeboten hatte. Damals ging man von einem Schaden von 20 Millionen US-Dollar aus. Vor Kimble galt das noch als ein großer Schlag gegen organisiertes Verbrechen. Dem großen Druck der Staatsanwaltschaft konnte Danny Ferrer nicht standhalten und gestand schließlich sämtliche Vorwürfe. Das FBI konnte zu diesem Zeitpunkt nicht alles ermitteln, weil die ermittlungstechnischen Möglichkeiten bezüglich Softwarepiraterie noch nicht ausreichten. So verriet Ferrel die Namen aller Komplizen und weiterer Drahtzieher. Damit nicht genug wurde Ferrer sogar Teil der operativen Ermittlungen des FBI und half der Behörde, weitere Täter dingfest zu machen. Nur aus diesem Grund wurde er zu einer mildernden Strafe verurteilt – sechs Jahre ohne Bewährung im Florida-Gefängnis Coleman Federal Correctional Complex, einem Knast für Mörder und Vergewaltiger.
Im Vergleich dazu steht Kimble mit einem ermittelnden Schaden in Höhe von 500 Millionen Dollar als ein Fall der Superlative dar. Mildernde Umstände geltend zu machen, dürfte nun schwierig werden, da Kimble selbst der Drahtzieher war und zudem das FBI keine weiteren Informationen mehr zur Überführung von anderen Komplizen benötigt. Die Zeiten, in denen organisierte Softwarepiraten noch Deals mit dem FBI machen konnten, sind längst vorbei. Seit Oktober 2000 hat das FBI mittlerweile eine vernetzte Struktur im Einsatz gegen solche Organisationen aufgebaut. Angefangen mit Operation Buccaneer folgten schließlich weitere internationale Ermittlungen gegen Softwaresyndikate mit Einsatznamen wie Operation Fastlink, Operation Safehaven und Operation Site Down. Ermittlungen gegen solche Syndikate gehören seitdem zur Routine. Das Netzwerk und die Mittel sind längst mit dem sogenannten Internet Privacy Act genehmigt, die Budgets sind seither immer weiter gestiegen.
Der Fall von Kimble ist für das FBI mit keinen Geheimnissen mehr verbunden, zumal Kimble nicht gerade dafür bekannt ist, sich und seine Taten geschickt zu verschleiern. Im Fall von Insiderhandel floh er ausgerechnet nach Thailand, wo einem übergewichtigen 2-Meter-Mann das Unerkanntbleiben unmöglich sein dürfte. Und in dem im Dezember 2011 erschienenen Werbeclip über sein illegales Portal Megaupload, der bei YouTube mehr als 12 Millionen Besucher zählt, taucht er sogar selbst als Sänger auf und schreit unter schrillen Megaupload-Logos ins Mikrofon: „It’s a hit!“
Die Klage
Sollte es Kimble tatsächlich schaffen, einen renommierten Anwalt für sich zu gewinnen, kann er sich beispielsweise im Staate Virginia vor einer Jury verteidigen lassen. Das dürfte Kimbles einzige Chance sein – er muss die Sympathie der Jury für sich gewinnen. Die Anklagepunkte und Vorwürfe gegen Kimble sind übersät mit tatkräftigen Beweismaterialien, da das FBI selbst für die Beschaffung zuständig war. So kann eine Verurteilung gegen Kimble sogar zu einer Haftstrafe von über 50 Jahren führen, wenn er in allen Punkten schuldig gesprochen wird und diese Punkte zusammenaddiert werden, wie in den USA oft üblich. Das Verständnis für Verhältnismäßigkeit hat in den USA eine besondere Bedeutung als in Deutschland. Lange Haftstrafen von bis zu 200 Jahren sind dort keine Seltenheit. „Du bleibst hier selbst nach dem Tod“, ist eine beliebte Aussage in amerikanischen Gefängnissen, denn die meisten werden auf dem gefängniseigenen Friedhof begraben.
So bleibt Kimbles letzte Chance, sich vor der Jury als Opfer darzustellen. Ein verlorener Computerjunkie, der aufgrund seiner Sucht die Grenzen seines Tuns nicht mehr sehen konnte. Er könnte sich beispielsweise als jemanden darstellen, der aufgrund falscher Freunde auf Abwege geriet und selbst dort nie ein Gewaltverbrechen verübte. Das könnte als Strategie funktionieren, um ihn davor zu bewahren, mehr als zehn Jahre in einem US-Gefängnis absitzen zu müssen. Er wird sicherlich auch diesmal nicht darum herum kommen, seine eigenen Geschäftsfreunde, die mit ihm verhaftet worden sind, zu belasten. Auch das würde Kimbles Persönlichkeit entsprechen.
In den späten 90er Jahren, kurz nachdem er wegen Kreditkartenmissbrauch verhaftet worden war, wurden in Hackerkreisen Stimmen laut, dass Kimble auch seine Freunde an die Softwareindustrie gegen Entgelt ausgeliefert habe. Der damalige berüchtigte Schwarzkopierer-Jäger und Anwalt Günther Freiherr von Gravenreuth hat seinen eigenen Aussagen zufolge Kimble als sogenannten Testbesteller beschäftigt. So wurden die damaligen Hacker genannt, die sich bei von Gravenreuth nebenbei Taschengeld verdienen wollten. Doch auch sonst scheint Kimble keine besonders erfolgreichen Geschäftsfreunde gehabt zu haben. Auch von Gravenreuth hat sich Jahre später das Leben genommen, nachdem ihm eine 14-monatige Haftstrafe in Deutschland drohte.
Kimble – eine verlorene Seele mit schlechten Mentoren und irregeleiteten Moralvorstellungen? In solch einer Opferfigur vermag man sich Kimble jedoch kaum vorzustellen. Stattdessen spricht vieles dafür, dass Kimble versuchen wird, sich lautstark zu verteidigen. Ein arroganter, übergewichtiger und reicher Deutscher vor einer konservativen Jury aus Virginia. Vielleicht ist es genau das, worauf sich die US-Staatsanwaltschaft freut.
Letztlich ist davon auszugehen, dass die US-Staatsanwälte auf derartige und weitere Begründungen vorbereitet sind. Dass Kimble nirgendwo auf der Welt Sympathisanten hat und selbst in Hackerkreisen in Verruf geraten ist, macht die Arbeit der Kläger noch einfacher. Anders als bei Hackern wie Kevin Mitnick, der trotz einer weltweiten Protestwelle für mehr als vier Jahre in Haft saß, gilt Kimble in Hackerkreisen als ein Unmoralischer und Defraudant. Im Gerichtssaal, ausgestattet mit modernsten Monitoren, Lautsprechern und Projektoren, werden Bilder von Kimble in Hubschraubern, in Jachten, mit Autos mit Kennzeichen wie „God“ und „Mafia“ und mit nackten exotischen Mädchen vorliegen. Kimbles Selbstdarstellung der letzten Jahre in den Medien ist genau das Material, was die Staatsanwaltschaft zu ihrem Vorteil benötigt, um die Geschichte von Kimble jederzeit in jegliche Richtung zu drehen. Zudem wird Kimble in den USA als Wiederholungstäter nach amerikanischem Gesetz verurteilt werden. Seine Bewährungsstrafen aus Deutschland, selbst wenn sie hierzulande erloschen sind, können dort zur Kräftigung der Klagebegründung erneut genutzt werden.
Das gesamte Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft und dem FBI bereits jetzt als Erfolg gefeiert. Solch einen eindeutigen und sogar einfachen Fall hatten auch die Verbände und Lobbygruppen noch nicht gehabt. Es ist fast so, als wären sie dankbar für das, was Kimble für sie getan hat. Ein besseres Exempel lässt sich kaum noch statuieren, eine bessere Erfolgsgeschichte für die US-Justiz und die Industrie kann es eigentlich kaum noch geben. So jemanden wie Kimble bekommt man nun einmal nicht alle Tage.
Sein Ziel, so Kimble in einem Interview, war es, zu den zehn reichsten Männern der Welt zu gehören. Er wollte jemand sein. Etwas Außergewöhnliches schaffen. Und die Welt sollte es mitbekommen. Und nun scheint er es geschafft zu haben. Zumindest für einige Jahre. Bis er wieder in Vergessenheit gerät und sich niemand mehr so recht erinnert, wer eigentlich dieser Kimble ist, der irgendwo in den USA eine langjährige Haftstrafe absitzt.