Die Hacker aus der Vorstadthölle
Endlich auf Deutsch: „Underground“ bietet viel mehr als ein paar Jugendanekdoten von Julian Assange. Suelette Dreyfus, die Verfasserin, hat drei Jahre Arbeit in das Buch investiert und kann nun die Faszination exklusiver Parallelwelten beglaubigen.
Dreizehn Jahre hatten die deutschen Verleger Zeit, dieses Buch herauszubringen, aber am Ende musste es ganz schnell gehen. Sehr lange nämlich wäre es nicht mehr unentdeckt geblieben, so offen, wie es da im Internet zum Gratisdownload herumlag. Dass die Rechte überhaupt noch zu vergeben waren, war ein kleines Wunder.
In einem kurzen Absatz seines großen Julian-Assange-Porträts im „New Yorker“ hatte Raffi Khatchadourian im vergangenen Juni auf „Underground“ hingewiesen, ein Buch, das die australische Journalistin Suelette Dreyfus 1997 über die Hackerszene in Melbourne geschrieben hatte. Der damals 26-jährige Assange nämlich war nicht nur als Co-Autor bei der Recherche behilflich gewesen, er war, was mittlerweile keiner mehr dementiert, auch einer der Protagonisten des Buches, ein jugendlichen Hacker mit dem Tarnnamen Mendax.
Als jener Mendax im vergangenen Jahr als Kopf von Wikileaks gleichzeitig weltberühmt und undurchschaubar wurde, da wuchs natürlich auch das Interesse an „Underground“, und dass die deutsche Übersetzung nun nächste Woche im Kleinverlag Haffmans & Tolkemitt erscheint, ist dem Gespür seines Verlegers zu verdanken, der sich sehr schnell um die Rechte bemühte: „Eine Google-Suche, ein Flug in der Holzklasse nach Melbourne zu Suelette Dreyfus einige Tage später, drei E-Mails an Julian Assange, der sofort antwortete“ – das waren, wie Till Tolkemitt erklärt, die Mittel, um einem bevorstehenden Wettbieten zu entgehen.
Und offensichtlich erwies sich Assange in diesem Fall bei den Verhandlungen deutlich unkomplizierter, als das die Redakteure von „Guardian“, „New York Times“ und „Spiegel“ erleben durften. Er steuerte sogar auch noch großzügig einen kleinen Bonustrack für all jene Hobbyhacker bei, die die eher harmlosen Codes knacken, welche im Buch plaziert sind.
Tatsächlich bietet „Underground“ eine sehr interessante Perspektive auf die Figur Assange, nicht nur, weil das Buch einen einzigartigen Blick auf die persönlich nicht ganz unwichtigen Jugendjahre bietet, aufs familiäre Chaos und die sozialen Umstände, die Assange prägten, sondern vor allem, weil weder die Autorin noch ihr Protagonist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in jenen Resonanzraum hineinriefen, der heute jede Äußerung über Assange zum mythischen Dröhnen verzerrt.
Bestimmt ist auch „Underground“ nicht frei von Verklärung. Doch im Vergleich zu aktuellen Porträts und Büchern, im Gegensatz zu Daniel Domscheit-Bergs Insiderberichten oder der für den April angekündigten (und vermutlich erst in ein paar Monaten erscheinenden) Autobiographie, von welcher wiederum Domscheit-Berg sagt, dass er sie angesichts der Fabulierlust ihres Autors lieber in die Belletristikecke der Buchläden stellen würde, fällt das Interesse an der Legendenbildung relativ harmlos aus.
Wer aber lediglich an der Person Assange interessiert ist, an ein paar Anekdoten aus der Kindheit eines zwielichtigen Promis, an vielsagenden Details, mit denen sich die psychologische Ferndiagnose unterfüttern ließe, der sollte sich die Lektüre des 600-Seiten-Werks vielleicht eher sparen. Denn erstens helfen Assanges Pubertätsprobleme dann doch nur bedingt, den Geisteszustand eines Mannes zu erklären, der nach seinen Erfahrungen der letzten Jahre womöglich doch ein wenig anders tickt als Mendax.
Relativ beschauliche Geldstrafe von 2100 Dollar
Und zweitens wurden sämtliche mehr oder weniger sachdienlichen Hinweise längst für unzählige Assange-Porträts ausgeweidet: die Odyssee der Mutter, einer Kostümbildnerin, durch die linke Künstlerbohème, später die Flucht vor einem gewalttätigen Stiefvater durch das halbe Land, die wechselnden Schulen, die frühe Vaterschaft mit 18 Jahren. Man weiß, dass er sich mit zwei Hackerfreunden zu den „International Subversives“ zusammengeschlossen hatte, dass er schon als junger Mann eine tiefe Stimme hatte und einen Amiga 500 und dass er schon damals paranoid genug war, seine Disketten in einem Bienenstock zu verstecken – außer an jenem Tag, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, jenem 29. Oktober 1991, an dem dann wirklich die Polizei vor der Tür stand. Dreyfus erzählt die Geschichte von Assange bis zum Gerichtsprozess im Jahre 1996, der mit der relativ beschaulichen Geldstrafe von 2100 Dollar endete.
Nun aber, da das Buch auf Deutsch vorliegt und der Rummel um Assange ein wenig abgenommen hat, kann man sich eben auch mal mit den anderen Figuren beschäftigen, mit all jenen Kids, aus denen keine international gesuchten Weltveränderer geworden sind. Die meisten dieser Jungs (und der sehr wenigen Mädchen) hatten ihre große Zeit mit 17, 18, 19, als sie sich Phoenix oder Anthrax nannten, Par, Force oder Electron. Und schon allein die Tatsache, dass jene oft überdurchschnittlich intelligenten Zeitgenossen heute, wie Dreyfus im Gespräch erzählt, relativ unspektakuläre Leben führen, bringt jeden Versuch, in Assanges Jugend eine schicksalhafte Vorgeschichte hineinzulesen, schön ins Wanken.
Modems statt Mädchen
Trotzdem hält sich Dreyfus bis heute an ihr Versprechen, die echten Namen dieser Leute nicht zu nennen, und so rührend das im Fall von Mendax wirkt, so angebracht ist es, wie sie betont, bei manchen anderen. Und weil auch damals, als sie das Buch geschrieben hat, Menschen, die in fremde Computersysteme eindringen, nicht zu den geschwätzigsten gehörten, dauerte es lange, bis Dreyfus ihr Vertrauen gewonnen hatte.
Drei Jahre Arbeit investierte sie in das Buch, führte Hunderte Interviews, studierte Tausende Seiten Dokumente und Protokolle. Natürlich ist das Buch alles andere als eine kritische Analyse der Szene. Aber gerade deshalb kann es auch heute noch helfen, die einfache Frage zu beantworten, die Dreyfus an den Anfang ihrer neuen Einleitung stellt: „Was sind Hacker für Leute? Warum dringen sie in fremde Computer ein?“
Ein Grund dafür, dass es in Melbourne damals zu einer auffälligen Konzentration begabter Hacker kam, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, war zum Beispiel: Melbourne. Das schlechte Wetter, die langweiligen Strände machten es eben einfacher, schreibt Dreyfus, sich mit Computer und Modem im Haus zu verschanzen. Dazu kam eine bestimmte soziale Disposition: Die Menschen, die sich in den örtlichen Mailboxen trafen, waren eher „verschrobene oder gar menschenfeindliche Typen“, die sich im echten Leben wie „Ausgestoßene“ fühlten, „die es an der Schule oder auf der Uni nie ganz in ,normale‘ Freundeskreise geschafft hatten“.
Enthüllen, fummeln, eindringen
In dieser Lesart taten die Computerfreaks auf ihre Weise auch nur das, was man als Teenager eben so tut: enthüllen, fummeln, eindringen. Das Motiv des Hackers als sozialer Loser mag sicher, wie vieles in dem Buch, aus heutiger Sicht etwas folkloristisch klingen. Und trotzdem sind die Defekte nicht ganz von der Hand zu weisen, die sich in den Lebensläufen der geschicktesten jener Nerds immer wieder finden, die kaputten Familien, die Tristesse der Suburbs und die erstaunlich schlechten Mathenoten: Der „Underground“ war eher ein Vorstadtorkus.
Der Blick auf all die pubertären Alltagsprobleme der niedlichen Hacker relativiert unweigerlich die Subversivität ihrer Aktionen, aber genau das macht auch heute noch den Reiz ihrer Geschichten aus. Wie nah das alles zusammenlag, die kleinen Kinderzimmer und die große Weltpolitik, das konnten viele dieser Teenager ja selbst immer wieder kaum fassen. Sicher, man musste schon ein wenig tüfteln, um in den Systemen der Telefonunternehmen ein und aus zu gehen oder um einen Wurm auf den Rechnern der Nasa einzuschleusen: Aber dass man mit einem 500-Dollar-Computer und einem Modem von Australien aus den amerikanischen Geheimdienst auf den Plan rufen kann, das war eben nicht nur persönlich eine eindrucksvolle Erfahrung, sondern auch historisch eine ziemlich neue.
In ihrer jugendlichen Obsession, und nicht unbedingt in einer kriminellen Energie, lag auch genau die Stärke jener unwahrscheinlichen Herausforderer: Welcher Systemadministrator konnte schon, zum Beispiel, mit der Ausdauer eines Zwölfjährigen aus der australischen Provinz rechnen, der wie Anthrax an einem Münztelefon mit Wählscheibe nächtelang gebührenfreie Telefonnummern ausprobiert, bis er Blasen an den Fingern kriegt.
Der berühmte KGB-Hack
Dass umgekehrt ihre Erfolge für die Hacker nicht nur eine enorme Befriedigung nach sich ziehen, sondern auch in eine Weltsicht münden, die alles Verborgene zwangsläufig als tiefe Wahrheit anerkennt, macht „Underground“ sehr anschaulich.
Die Faszination, die jene exklusiven Parallelwelten auf die Kinder von Amiga und Commodore ausgeübt haben, ist dabei paradoxerweise oft nur schwer zu vermitteln, weil das Gefühl für die Obskurität einer vernetzten Welt kaum wiederherstellbar ist. Letztlich waren die Hacker von damals auch die Avantgarde der längst profan gewordenen Erfahrung globaler Kommunikation. Über das Nachrichtenboard der Hamburger Computerfirma Altos, einem Vorläufer heutiger Chatrooms, wurden eben nicht nur Passwörter ausgetauscht, sondern auch Belanglosigkeiten, es wurden Freundschaften geschlossen und Liebesbeziehungen geknüpft, Eifersucht inklusive.
Auch die deutschen Hacker, die Ende der Achtziger am berühmten KGB-Hack beteiligt waren (bekannt aus dem Film „23“), trafen sich bei Altos. Und als 1989 die Mauer fällt, chatten die Kinder in Australien live mit ihren deutschen Freunden. Und fühlen sich dem Weltgeist so viel näher als ihre Eltern, die ein Zimmer weiter vor dem Fernseher sitzen.
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