Snorre Valen, ein norwegischer Parlamentabgeordneter, Mitglied der sozialistischen Linken, will Wikileaks als Organisation für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Ein Vorschlag, der gerne von der Medienwelt aufgenommen wird, obwohl der Nachrichtenwert eigentlich gegen Null tendiert.
Rein formal kann jedermann jede beliebige andere Person oder Organisation für den Friedensnobelpreis empfehlen. Im vergangenen Jahr wurde beispielsweise auch das Internet für den Preis vorgeschlagen. Wohl vor allem, weil sich das thema für Schlagzeilen eignet. Von Seiten des Nobelpreis-Komitees wird empfohlen, Vorschläge für sich zu behalten. Was wohl bei vielen Eingaben die richtige Entscheidung wäre.
Immerhin liefert der Vorschlag des Norwegers aber einen Anlass, die Frage zu stellen, ob Wikileaks den Nobelpreis wirklich verdient. Wobei es schwer ist, Wikileaks von seinem Gründer und einzigen Sprecher Julian Assange zu trennen, den Valen allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Der Norweger begründet seine Empfehlung damit, dass Liu Xiaobao im vergangenen Jahr den Nobelpreis dafür erhielt, sich für die Menschenrechte, die Demokratie und die Redefreiheit in China einzusetzen. Wikileaks tue das Gleiche, schreibt Valen, „indem es (unter vielen anderen Dingen) Korruption, Kriegsverbrechen und Folter bloßstellt – manchmal sogar von Allierten Norwegens vollzogen. Und gerade erst: Indem es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Präsidentenfamilie Tunesiens enthüllte, könnte Wikileaks einen kleinen Beitrag zum Untergang einer 24 Jahre dauernden Diktatur geleistet haben„.
Letzteres mag teilweise stimmen, wie sogar die FAZ eingesteht. Obwohl der Spiegel als einer der Exklusivpartner von Wikileaks dem offenbar uninteressanten Thema „Tunesien“ in seinem Wikileaks-Sonderheft so gut wie keinen Raum gegönnt hat. Dafür hat das Blog „Tunileaks“ einen umso besseren Zugang zu den relevanten Cables geliefert.
Doch ist der Umsturz in Tunesien wirklich ein Verdienst von Wikileaks oder gar von Assange? Bradley Manning, der US-Gefreite, der Wikileaks eine gigantische Dokumentenmenge zugespielt hat, hätte den Friedensnobelpreis dann mindestens ebenso sehr verdient wie der Wikileaks-Sprecher. Schließlich enthielten seine Dokumente auch die Tunileaks-Cables.
Und Manning hatte ganz augenscheinlich seine Zweifel am Frontmann des Enthüllungsdienstes. Sonst hätte er ihn gegenüber dem Hacker Lamo nicht als der „verrückte weißhaarige Aussie“ (Guardian) bezeichnet. Dass die Dokumente Mannings an die Öffentlichkeit kamen (bzw. vielleicht noch kommen) ist sicher im Augenblick der richtige Weg. Doch wie Assange die Dokumente an die Öffentlichkeit lässt, ist nicht immer die beste Wahl. Warum wirbt Assange beispielsweise immer noch damit, im Besitz vertraulicher Dokumente einer US-Bank zu sein, deren Enthüllung von Interesse für die Öffentlichkeit sein soll – und veröffentlicht sie aber nicht?
Assange mag damit die Rolle des Wikileaks- Geschäftsführers gut ausfüllen oder die einer One-Man PR-Agentur. Aber für den Nobelpreis prädestiniert ihn das nicht. Dazu sollte man auch einmal die Frage stellen, was Wikileaks mit den letzten Enthüllungen langfristig erreicht. Als Korrektiv zu wirken, dass an der manipulierbaren Presse vorbei für die Offenlegung wichtiger Informationen dienen kann, das ist sicher ein gutes Ziel für Wikileaks und alle vergleichbaren Institutionen.
Neben dieser Rolle als Korrektiv muss man aber auch Eines sehen: Die Aufdeckungen der letzten Monate hinsichtlich der US-Dokumente waren nur möglich, weil die USA ihre Kommunikationspolitik nach den Terroranschlägen 2001 drastisch verändert hatte. Man wollte verhindern, dass nochmals wichtige Informationen irgendwo im System versickern. Doch das machte es möglich, dass ein kleiner Gefreiter mit einigen Computer-Kenntnissen und fehlender soldatischer Mentalität in den Besitz dieser Daten kommen konnte.
Das – da kann man sich absolut sicher sein – wird sich nach den Wikileaks-Enthüllungen so schnell nicht wiederholen. Wikileaks hat der US-Diplomatie vorgeführt, was ein Elchtest ist. Noch einmal werden sich Politik, Militärs und Diplomaten nicht so leicht aus der Bahn werfen lassen.
Aber die hinter den veröffentlichten Dokumenten hervorblinzelnden Strategien und die Weltsicht des (amerikanischen) Staats werden sich dadurch nicht ändern. Wie im Fall der Entstehung neuer Gesetze werden die Staaten auf diese Enthüllungsgefahr reagieren und geeignete Maßnahmen treffen. So, wie ein potentieller Terrorist beim Bekanntwerden staatlicher Abhörmaßnahmen geeignete Maßnahmen zur Verschleierung seiner Absichten treffen wird. Auch daher nochmals die Frage: Hat Wikileaks wirklich den Friedensnobelpreis verdient?
http://www.intern.de/internet-news/8817-wikileaks-fuer-den-nobelpreis-nominiert-zu-recht-.html