Das Bild von ihm, das alles sagen würde, gab es nicht. Das Bild in Handschellen. Als Julian Assange am Dienstagmorgen um 9 Uhr 30 zur Polizei kam, wo seine Personalien festgestellt und der 39-Jährige verhaftet wurde, hielt er seinen Teil der Verabredung ein. Assanges Rechtsanwalt Mark Stephens hatte am Vortag lange mit den Behörden verhandelt. Dabei wurde der Haftbefehl noch zurückgehalten, so dass Assange die genauen Vorwürfe nicht kannte. Ihn selbst schien das nicht sonderlich zu berühren. Er ging der einzigen Beschäftigung nach, die für den Internetaktivisten Sinn macht. Im Minutentakt setzte er über seinen Laptop Nachrichten ab.
Beim Haftprüfungstermin am Westminster Magistrates Court um 14 Uhr zeigte sich auch Stephens gelassen und ließ keinen Zweifel daran, dass er die Anschuldigungen für ziemlich fadenscheinig hält. Assange habe seit Wochen versucht, die schwedische Staatsanwältin zu kontaktieren, die seinen guten Ruf „umfassend beschädigt und sich in völlig abwegig“ benommen habe. Stephens erklärte, dass Assange selbst auf Aufklärung des Falls gedrungen habe und zum „Verfolger“ seiner Strafverfolger geworden sei. Auch habe Assange Scotland Yard schon vor „vier bis sechs Wochen“ kontaktiert.
Was hinter dem Vorwurf steckt, Assange habe bei seinem Aufenthalt in Schweden im Sommer dieses Jahres zwei Frauen vergewaltigt, ist schwer zu sagen. Nach Londoner Quellen soll er am 15. und 17. August Sex mit verschiedenen Frauen gehabt haben, von denen eine offenbar als militante Feministin gilt. Auf ihrer Aussage, dass es Streit über Verhütung gegeben haben soll, basiert der Haftbefehl. Die britische Justiz war nach Ausschreibung einer internationalen Fahndung zum Handeln gezwungen.
Selten ist ein einzelner Mann so energisch verfolgt worden wie der gebürtige Australier und Wikileaks-Gründer Assange. Seine Aktivitäten würden das Leben von Menschen gefährden, warnten die Amerikaner, Außenministerin Hillary Clinton sprach von einem „Angriff auf die internationale Gemeinschaft“, als handele es sich bei Assange um den Bruder Bin Ladens. Nachdem Wikileaks mit der Veröffentlichung von amerikanischen Botschaftsberichten aus aller Welt begonnen hatte („Cablegate“), fror am Wochenende der Internetbezahldienst Paypal ein Spendenkonto von Wikileaks ein. Es sei nicht zulässig, Paypal zu nutzen „um illegale Vorgänge anzuregen, zu fördern oder zu erleichtern“, hieß es. Ähnlich begründete auch das Kreditkartenunternehmen Mastercard seinen Zahlungsstop an Wikileaks. Am Montag schließlich schloss Post Finance, ein Schweizer Post-Unternehmen, ein Assange-Konto, über das ebenfalls Spenden eingelaufen waren. Die Schweizer argumentierten, Assange habe bei der Kontoeröffnung falsche Angaben zu seinem Wohnort gemacht. Schon zuvor war der Zugang zu Wikileaks erschwert worden. Amazon hatte der Organisation die Nutzung seines Servers entzogen, der US-Dienstleister Everydns.net die Adresse Wikileaks.org gesperrt.
Besser, sich zu stellen, als gejagt zu werden
Vielleicht hat der so in die Enge Getriebene daraus die Konsequenz gezogen. Es könnte besser für ihn sein, sich den britischen Behörden wegen des Verdachts der Vergewaltigung zu stellen, als von Geheimdiensten gejagt und von hochrangigen amerikanischen Behördenvertretern als „Terrorist“ beschimpft zu werden. Ist das Projekt Wikileaks damit gescheitert? Kann man der Hydra den Kopf abschlagen, ohne erwarten zu müssen, dass nun sehr viel mehr neue nachwachsen?
Die Auseinandersetzung zwischen Wikileaks-Gegnern und -Unterstützern hat mit der Verhaftung von Assange eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Hackerszene reagierte sofort. Trotz großer Vorbehalte, die gegenüber Assanges Veröffentlichungspraxis in Hackerkreisen durchaus bestanden, sehen sie nun ihre Philosophie im Kern bedroht. „Information has to be free“, lautet ihr Credo. Selbst Abtrünnige, die sich entweder mit Assange persönlich überworfen hatten oder der Entwicklung von Wikileaks zum vermeintlichen „Sprachrohr der CIA“ misstrauten, zeigen sich nun kampfbereit. Anarchodin alias Herbert Snorrason, spricht bei Twitter offen die Warnung aus: „Untersteht euch, ihn an Amerika auszuliefern“. Und Smarimc alias Smári McCarthy aus Island schreibt bei Twitter: „Ihr könnt uns nicht alle stoppen … wir sind alle gleich.“ Offen wirbt der Hamburger Chaos Computer Club jetzt dafür, „Wikileaks alle technische Unterstützung zukommen zu lassen, um diese Schlacht zu gewinnen“. Immer neue Internetseiten „spiegeln“, was unter der Originaladresse nicht mehr erreichbar ist. Am Nachmittag waren es 729, die das Aufkommen an Dokumenten multiplizierten und damit weiterhin lesbar machten.
Es tobt ein Cyberwar. Es geht um sehr viel. Wer bekommt Kontrolle über das Netz und damit über die Menschen? Es ist ein Machtkampf von enormer Wucht, der weit über die tagespolitische Erregung angesichts der aktuellen diplomatischen Verstimmungen hinausreicht. Im Kern geht es um die Frage: Sollten Informationen, die jedermann zugänglich gemacht werden können, auch für jedermann zugänglich sein. Das berührt einen Punkt, vor den sich die Zivilisation immer wieder gestellt sieht. Denn sie weiß nie ganz genau, ob das, was menschenmöglich ist, auch wünschenswert wäre.
Die Musikindustrie hat das vor zehn Jahren als Erste zu spüren bekommen. Mit der Erfindung des mp3-Formats durch die deutsche Fraunhofer-Stiftung wurde die digitale Übermittlung komplexer Musikdateien auch Laien möglich. Der Student Shawn Fanning entwickelte daraufhin eine Tauschbörse namens Napster, auf der Musiktitel kostenlos heruntergeladen werden konnten. Bis zu 25 Millionen User machten davon Gebrauch. Es gab praktisch kein Album mehr, dass nicht „leakte“, also vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin als Raubversion ins Netz durchsickerte.
Tauschbörse für politische Informationen
Die Musik selbst hat der ökonomische Niedergang der Plattenindustrie nicht verhindert, sondern nur die Bedingungen verändert, unter denen sie entsteht. Sie quillt nun überall hervor. Und Julian Assange dürfte eine ähnliche Entwicklung im Sinn gehabt haben, als er seine Idee einer Tauschbörse für politische Informationen entwickelte.
Denn genau das wollte Wikileaks sein. Ursprünglich angelegt als ein sich selbst verwaltendes Instrument zur Veröffentlichung von Originaldokumenten, wurde es aber schnell in eine Enthüllungsmaschine umfunktioniert. Es sollten nur solche Dokumente offen gelegt werden, die noch nirgendwo anders zu sehen gewesen waren. Damit trat Wikileaks auch als Institution auf, die Informationen gewichtet und sortiert. Das brachte ihr großen Ruhm ein, als sie ein Video von 2007 aus Bagdad veröffentlichte, auf dem die Tötung von mehreren Dutzend Zivilisten, darunter zwei Reuters-Journalisten, zu sehen ist. Mit dem „Baghdad Airstrike“ hatte Assange ein Kriegsverbrechen sichtbar gemacht, er schien am Ziel.
„Im Kampf zwischen Konspiration und Wahrheit scheint es unumgänglich, dass die Wahrheit siegt“, zitiert Assange in einem am Dienstag veröffentlichten Beitrag für „The Australian“ den Medienmogul Rupert Murdoch. Und er erinnert daran, dass Murdochs Vater es war, der sich mit der offiziellen Begründung für den Tod tausender australischer Soldaten bei Gallipoli nicht zufrieden gegeben hatte, bis die Truppen endlich abgezogen wurden. Würde ein Anarchist Rupert Murdoch zitieren?
Als „Krypto-Anarchist“ wird Assange bezeichnet. Auch als „Cypherpunk“ oder „Netz-Guevara“, um seine revolutionäre Gesinnung zu unterstreichen. Tatsächlich transportieren seine oft sprunghaft-assoziativen Schriften ein messianisches Bedürfnis nach Veränderung, und mit Wikileaks meint der selbst ernannte „Chefredakteur“ auch, das richtige Werkzeug dafür gefunden zu haben. Doch versteht er es als gesellschaftliche Kontrollinstanz, die der investigative Journalismus als verlängerter Arm einer politischen PR-Maschinerie nicht mehr sei.
„Ich wuchs in einer kleinen Stadt in Queensland auf“, schreibt er nun, kurz vor seiner Festnahme, in „The Australian“, „in der die Menschen ihre Meinung ganz unverblümt sagten. Sie misstrauten dem großen Regierungsapparat als etwas, das leicht korrupt werden konnte, wenn es nicht genau beobachtet würde.“ Diese angelsächsische Vorsicht hat ihn geprägt. Seither verfolgt er das Ziel, „das Internet zu nutzen, um die Wahrheit zu verbreiten“. Wikileaks soll das System nicht zerstören, sondern es ehrlicher machen. So erklärt Assange, den Menschen nur Zutritt zu Erkenntnissen verschaffen zu wollen, ohne die sie ihre Welt nicht richtig beurteilen können. Erst wenn sie wüssten, warum und wie ein Krieg geführt werde, könnten sie sich entscheiden, ob sie ihn unterstützen wollten.
Die Wahrheit! Um die Wahrheit sei es ihrem Sohn schon immer gegangen, sagt am anderen Ende der Welt die Mutter, Christine Assange. Die Frau, die nach eigenen Angaben keinen Computer besitzt, erfährt nun täglich aus Fernsehen und Radio über ihren Sohn. Was genau seine Wikileaks sind, weiß sie nicht. Aber: Dass er schon immer die Bösewichter der Welt stellen wollte. Australischen Medien erzählte sie von einem hoch intelligenten, witzigen Sohn, der am Ende aber „ein bisschen zu smart für sich selbst wurde“.
Nun soll er mindesten bis zur nächsten Anhörung vor Gericht am 14. Dezember in Haft bleiben.
da kann man nur hoffen …
das Assange nicht an die Schweden ausgeliefert wird, sonst könnte ihm die Verschleppung durch den USA Geheimdienst drohen, wäre nicht das erste mal, dass Schweden sich für so etwas hergibt, man lese:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17963/1.html