Mega-Prison für Megaupload-Betreiber Kim Dotcom und die Rolle des FBI – Teil 1
Als Kimble verhaftet wurde, konnte er lediglich vermuten, was gegen ihn vorliegt: Urheberrechtsverletzung. Für jemanden wie Kimble waren eine derartige Verhaftung und der Vorwurf nichts Neues. Doch wer hinter der Verhaftung wirklich steckte, wusste Kimble zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das erklärt auch seine Gelassenheit, als ihn das neuseeländische Fernsehen direkt nach seiner Festnahme aufnahm. Womöglich dachte er dabei an die Rechtsabkommen, die zwischen Neuseeland, Deutschland und auch Finnland bestehen. Im Zweifelsfall findet der Prozess in Deutschland oder Finnland statt. Aber auch Neuseeland ist kein schlechter Ort für ein Urteil, da auch dort Straftäter wie er mit Samthandschuhen angefasst werden.
Die Website Megaupload.com wurde vom FBI geschlossen |
Auf sicherem Boden
Mit den Konsequenzen seiner Taten glaubt sich Kimble bestens auszukennen. In Deutschland konnte er bereits viel Erfahrung sammeln. Bereits 1994 wurde er wegen Computerbetrugs, Bandenhehlerei und Missbrauch von Titeln zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dann, im Jahre 2002, lautete der Vorwurf Insiderhandel mit Aktien. Auch hier kam Kimble glimpflich davon – wieder nur eine Bewährungsstrafe. Eine Verhaftung mehr oder weniger dürfte Kimble mittlerweile nicht mehr besonders berühren. Vielleicht hat er im Falle von Megaupload ebenfalls nur mit einer Verhaftung gerechnet. Und auch dann würde er davonkommen. Wie immer. Diesmal vielleicht sogar erst recht, denn an Geld mangelte es Kimble zum Zeitpunkt seiner Verhaftung nicht. Auf 65 Millionen Dollar soll er sein Vermögen angehäuft haben. Dafür lohnt es sich aus seiner Sicht, eine Bewährungsstrafe zu riskieren.
Auf seiner gemieteten Villa in Neuseeland weht die finnische Flagge. Bei seinem Abschiedsgesang auf seiner Website warf er Deutschland vor einigen Jahren vor, ein Land voller neidischer und missgünstiger Menschen zu sein. Es sei hier kein Platz mehr für einen Helden wie ihn. Abgebildet war die deutsche Flagge mit einem Totenkopf. Untertauchen sei eine gute Sache, schrieb er noch in seinem Abschiedsbrief und verließ das Land. Anscheinend unter anderem nach Finnland, wo er sich einbürgern ließ.
Eine doppelte Staatsbürgerschaft in Finnland und Deutschland kann ohnehin nicht verkehrt sein, könnte er sich dabei gedacht haben. Länder wie Neuseeland haben ein eigenes Verständnis für Verhältnismäßigkeit bei der Bestrafung von Menschen wie Kimble. Zwar versuchen Industrie-Verbände in allen Ländern seit Jahren weltweit, ein Exempel an Schwarzkopierern zu statuieren. Kampagnen wie „Raubkopierer sind Verbrecher“ sollen Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten. Doch die Justiz bleibt sachlich – vor allem in Europa. Letztlich sitzt auch auf der Klägerseite ein verbeamteter Staatsanwalt. Und er muss zumindest in Deutschland die Vor- und Nachteile des Beschuldigten abwägen. Ein guter Verteidiger kann den Beklagten schon irgendwie aus der Misere herausboxen. Letztlich kommt es auf eine gute Klageabwehr an. Das weiß Kimble.
Doch weder Deutschland noch Finnland oder Neuseeland haben diesmal mit den Ermittlungen gegen Kimble etwas zu tun. Zudem halten sich die beiden Länder, Deutschland und Finnland, dessen Bürger eigentlich Kimble ist, aus der Angelegenheit offenbar gänzlich heraus. So langsam muss es dann auch Kimble mulmig geworden sein. Dann kam die erschreckende Nachricht. Kurze Zeit später wurde klar, dass er sich mit einer anderen Klasse der Staatsgewalt angelegt hatte, nämlich den USA. Nun war die Stimmung von Kimble konzentrierter, und er schaute nicht mehr in Siegerpose in die Kameras, wie er es sonst zu tun pflegte. Neuseeland war lediglich der Klageschrift des amerikanischen Justizministeriums nachgekommen und hatte die Verhaftungen und Beschlagnahmungen präzise nach Vorgabe durchgeführt.
Doch eine weitere Tatsache macht die Angelegenheit für Kimble besonders bedrohlich: Der Ermittler ist nicht etwa die Filmindustrie oder eine von ihm beauftragte Detektei wie oft in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen mit Konzernen. Es ist das FBI. Das teilte ihm zumindest sein Anwalt mit, der es selbst den Medien entnommen hatte. Das FBI hat seinen Erfolg bereits auf seiner Website verkündet.
Was das FBI dazu veranlasst hat, bis nach Neuseeland vorzudringen, lässt Fragen offen. Laut den Unterlagen liegen dem FBI Telefongespräche, Email-Verkehr sowie Videoaufnahmen von Kimble vor. Dort ist alles dokumentiert. Das FBI weiß sogar bis aufs letzte Detail, wer welche Software wann und wie für Kimble programmiert hat. Aus den Unterlagen geht auch hervor, dass Kimble und sein Team selbst Schwarzkopien besorgt und in das Portal hochgeladen haben sollen. Megaupload ist nicht nur ein Fileserver wie Rapidshare gewesen, sondern eine kommerzielle Handelsplattform für nicht lizenzierte Filme, Musik und vieles mehr.
Die Vorgehensweise ist eine bislang noch nicht offenkundige Ermittlungstaktik des FBI außerhalb seiner eigenen Grenzen der USA. Wie konnte das FBI an all diese Daten in Neuseeland kommen? Was die wenigsten wissen ist, dass das FBI seit 2004 noch stärker in die Prozesse der übrigen Geheimdienste der USA integriert worden ist, um international effizienter agieren zu können. Nach 9/11 hat sich der gesamte amerikanische Geheimdienst im Rahmen der Intelligence Reform and Terrorism Prevention Act (IRTPA) gemeinsam mit der United States Intelligence Community (CI) neu formiert. Insgesamt 16 Geheimdienste sind dem Verbund CI angeschlossen, darunter die üblichen Dienste wie das Verteidigungsministerium DOD, die CIA, der NSA und dort eben auch das FBI.
Ziel der Reform ist es, eine internationale Macht auszuüben, um nicht nur Terroristen, sondern alle möglichen Straftäter überall und jederzeit dingfest machen zu können. Seither hat der Verbund CI auch Interpol und Europol beraten und mit reorganisiert. Justizbehörden weltweit profitieren auf diese Weise von den Ermittlungen der US-Geheimdienste. Seit mehr als 10 Jahren haben sich die USA nun auch zum Ziel gesetzt, die Interessen ihrer Lobbygruppen, der Film-, Musik- und Softwareindustrie exekutiv zu vertreten.
Interessanterweise hat sich das FBI Zeit gelassen. Mehrere Jahre soll es gegen die Megaupload-Verschwörung, wie sie das FBI nennt, ermittelt haben. Auch das ist eine Vorgehensweise, die das FBI mittlerweile auszeichnet. Schnellschüsse und Blitzaktionen sind vor allem im Bereich von internationaler Kriminalität kein vielversprechendes Vorgehen mehr. Wenn es darum geht, jemanden für lange Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, wird einem gründlich ausgearbeiteten Plan gefolgt, der alle Interessensparteien mit einschließt. Eine gute Strategie im gesamten Prozess, von der Verhaftung bis zur Verurteilung, ist die Antwort der amerikanischen Justiz gegen Staranwälte, mächtige oder politisch einflussreiche Kriminelle. Erst wenn die Klage feststeht, die Beweise, Informationen und Anschuldigungen auf Stahl gegossen sind, folgt die Verhaftung. Man möchte nicht mehr in die Situation kommen, sich verteidigen zu müssen und zu keinem Zeitpunkt die Angelegenheit im Klageprozess aus dem Ruder gleiten lassen. Angriff ist nicht nur die die beste Verteidigung. Es geht vor allem um eins: Vorbereitung.
Ort des Verbrechens
Knapp 30 Meilen vom Weißen Haus und vom Hauptgebäude des FBI entfernt hortete Kimble im US-Bundesstaat Virginia, in der kleinen Stadt Dulles, seine immensen Daten, die er für sein illegales Portal Megaupload benötigte. Dort hatte seine Firma beim Internetprovider Carpathia Hosting insgesamt 25 Petabyte an Daten gemietet. Etwas südlicher, in Richmond Virginia, befindet sich auch die Elite der Staatsanwälte, die seit Jahrzehnten erfolgreich gegen Softwarepiraten vorgehen. Das dortige Justizministerium Virginia Department of Juvenile Justice ist auch gleichzeitig der Ort, wo die Klage gegen Kimble erhoben wurde.
Ob es pure Dummheit oder dreiste Frechheit war, die Kimble gewogen, seiner illegalen Tätigkeit ausgerechnet direkt vor der Nase der Ermittler nachzugehen, wird sich bei seiner egozentrischen Persönlichkeit schwer beantworten lassen. Gewiss ist allerdings, dass damit auch der Verhandlungsort Virginia besiegelt sein dürfte. Es stellt sich im Grunde kaum noch die Frage, ob Kimble in die USA ausgeliefert wird oder nicht. Neuseeland ist weder der initiierende Ermittler noch der Kläger gegen Kimble. Würde die Regierung darauf bestehen, die Klage im eigenen Land durchführen zu wollen, müsste die gesamte Klageschrift inklusive der vom FBI gesammelten Beweise ins neuseeländische Gesetz transferiert werden. Für Neuseeland dürfte derzeit kein Argument für eine solche Vorgehensweise sprechen. Die Formalitäten und die Dauer bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Auslieferung dürften aber weder für das US-Justizministerium noch für Neuseeland ein Problem darstellen, solange Kimble fest hinter Gittern sitzt. Diese Tatsache einmal vor Augen gehalten wird Neuseeland alles in seiner gesetzlichen Macht stehende versuchen, um eine vorzeitige Entlassung von Kimble zu verhindern, bevor sie ihn der USA übergeben.
Vorab erwartet Kimble ein längerer Aufenthalt in einem Gefängnis, womöglich ebenfalls in Virginia, bevor es überhaupt zur Verhandlung und Urteilsverkündung kommt. „Prison“ – so heißen die Untersuchungshaftanstalten in den USA, in denen bis zu 20 Gefangene in einer Zelle aufbewahrt werden und zehn Jahre oder mehr auf ihre Verhandlungen warten. Die Prisons in den USA gelten als die schlimmsten Haftanstalten. Das einzige, was den Gefangenen den Aufenthalt über sich ergehen lässt, ist die Hoffnung oder die Angst vor der eigentlichen Verhandlung.
Dank den Ermittlungen des FBI weiß das Justizministerium bereits auch, was den Beschuldigten gehört oder, besser gesagt, gehört hat. Das zeigt auch das Ausmaß der Ermittlungen. Das FBI wusste bis aufs kleinste Detail, welche Gegenstände sich im Besitz von Kimble und seinen Komplizen in seiner gemieteten Villa in Neuseeland befanden. In der Klageschrift sind zahlreiche Bildschirme und Videokameras von bekannten Marken sowie Computer, Server und weiteres, detailliert bis auf ihre Seriennummern, aufgelistet. Hinzu kommen Fahrzeuge samt Kennzeichen, Gemälde und Statuen, die präzise mit Beschreibungen aufgeführt sind. Weiterhin erstreckten sich die Ermittlungen des FBI gegen die Megaupload-Verschwörung auf Länder wie China, Australien, die Philippinen, Singapur, die Niederlande, Slowakei und auch Deutschland. In all diesen Ländern wurden unzählige Konten der Beschuldigten beschlagnahmt, darunter auch Paypal-Konten, sogar Konten der Commerzbank und der Deutschen Bank.
Für das FBI gibt es also weder Grenzen noch Schwellenländer, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Interessen geht. Es wird jeder Spur und jedem Hinweis nachgegangen und die Informationen vor Ort besorgt. Um in einem fremden Land ermitteln zu dürfen, braucht man schließlich keine Genehmigung. Im Grunde darf jeder FBI-Agent ohne Autorität und Schusswaffe mit seinem Reisepass in ein beliebiges Land einreisen und dort Beobachtungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten anstellen. Zollbehörden weltweit und letztlich auch das Interpol machen eigentlich nichts anderes. Auch deutsche Zollbeamte sind beispielsweise ständig auf den Flughäfen überall auf dem Globus im Einsatz, ohne eine polizeiliche Autorität vor Ort besitzen zu müssen, solange sie nur beobachten und nicht aktiv ins Geschehen eingreifen.
Wenn es dann um die aktive Verfolgung und Verhaftung von Kriminellen geht, spielen die hiesigen Behörden jedoch auch mit. Die Anklagepunkte gegen die Betreiber von Megaupload sind Konspiration, organisiertes Verbrechen, schwere Urheberrechtsverletzung in mehreren Fällen sowie Geldwäsche. Bei derartigen Vorwürfen fällt es den örtlichen Behörden ohnehin schwer, ihre Arbeit dem FBI zu verweigern. So funktioniert die internationale Strafverfolgung