Die Inszenierung war wie immer perfekt. Der „Vertreter von WikiLeaks“ stecke leider im Verkehr fest und verspäte sich, sagte ein Organisator vor Beginn der Pressekonferenz im Londoner Frontline Club. Alle anwesenden Journalisten wussten längst, dass es sich bei dem mysteriösen „Vertreter“ um niemand anders als WikiLeaks-Frontmann Julian Assange handelte. Doch die Organisatoren machten bis zum Schluss ein Geheimnis daraus. Die Geheimnistuerei sollte offensichtlich unterstreichen, was für ein besonderes Ereignis bevorstand.
Der Anlass für den öffentlichen Auftritt war die Übergabe zweier CDs mit geheimen Bankdaten: Der Schweizer Banker Rudolf Elmer überreichte rund 2000 Kundendaten vor den Augen der Weltpresse an die Internet-Enthüllungsplattform. Elmer war bis Ende 2002 Chief Operating Officer des Bankhauses Julius Bär auf den Cayman Islands und hatte die Daten vor seinem Rauswurf von den Firmen-Servern heruntergeladen.
Über den Inhalt der CDs wurde an diesem Montag nichts Neues bekannt. Namen verrate er nicht, sagte Elmer. Am Wochenende hatte er dem britischen „Observer“ jedoch gesagt, dass es sich um Kunden aus den USA, Großbritannien, Österreich und Deutschland handele.
WikiLeaks will die Daten nicht sofort veröffentlichen. Zunächst sollen sie in Rücksprache mit Finanzexperten und den zuständigen Steuerbehörden geprüft werden. Die Veröffentlichung im Internet könne noch einige Wochen dauern, erklärte Assange, nachdem er mit 45-minütiger Verspätung schließlich doch im Frontline Club eintraf. Man habe ja noch eine Menge anderer Sachen zu tun.
Am Mittwoch muss Elmer erneut vor Gericht
Um harte Nachrichten ging es bei der Pressekonferenz daher nicht – zum Unmut einiger Journalisten, die sich missbraucht fühlten. Stattdessen erzählte der Mittfünfziger Elmer in dem überfüllten Raum seine Geschichte. Er sei damals bei seiner Arbeit auf den Cayman Islands auf einen „Mauseschwanz“ gestoßen, sagte er. Er habe daran gezogen, und der Schwanz sei immer länger geworden. Schließlich habe er einem „feuerspeienden Drachen mit mehreren Köpfen“ gegenübergestanden. Zu den Köpfen zählte Elmer neben seiner ehemaligen Bank auch die Schweizer Medien und die Schweizer Staatsanwaltschaft, die den Whistleblower an den Pranger stellten.
Elmer ist in der Schweiz angeklagt wegen Verstoßes gegen das Bankgeheimnis, Aktenfälschung und der Bedrohung zweier Mitarbeiter von Julius Bär. Vor fünf Jahren verbrachte er bereits 30 Tage in Haft. Am Mittwoch muss er das nächste Mal vor Gericht erscheinen.
Vor diesem Gerichtstermin wollte Elmer noch einmal seine Sicht der Dinge darlegen – und das Thema Steueroasen auf die Agenda setzen. Einen willigen Partner in dieser PR-Offensive fand er in WikiLeaks-Gründer Assange, der seit Dezember unter Hausarrest in der englischen Grafschaft Norfolk steht und auf den Ausgang seines Auslieferungsprozesses nach Schweden wartet. Nach den vielen Negativschlagzeilen kam dem Australier die Gelegenheit gerade recht, einmal nicht über seine persönlichen Probleme zu reden, sondern über die Arbeit von WikiLeaks.
Und so unterstützten sich die beiden von der Justiz Verfolgten vor der versammelten Weltpresse gegenseitig. Elmer dankte WikiLeaks für die Unterstützung in seinem „Kampf gegen das System“. Assange nannte Elmer einen echten Whistleblower, dem zu helfen eine Pflicht für WikiLeaks sei.
Auch die Daten von 40 Politikern sollen dabei sein
Elmer, der inzwischen auf Mauritius lebt, konnte sich noch über andere renommierte Unterstützer freuen:
- Der Schweizer sei „Teil einer Bewegung mit einem Gewissen in der Bankbranche“, sagte der Journalist Ed Vulliamy, der die Pressekonferenz moderierte.
- Elmers US-Anwalt Jack Blum sagte, sein Mandant leide unter dem vollen Druck der „Schweizer Bankbruderschaft“.
- John Christensen vom Tax Justice Network, der seit Jahren die Machenschaften von Steueroasen untersucht, sagte, im Fall Elmer gehe es ganz klar um Einschüchterung. Der Prozess sei „eine Botschaft an jeden, der das Bankgeheimnis bedroht“. Was Elmer sage, klinge „vollkommen plausibel“. Er selbst habe 13 Jahre in der Finanzbranche auf der Steueroase Jersey gearbeitet und Insider-Trading, Marktmanipulation und Steuerhinterziehung vorgefunden.
Die Ehrenrettung konnte Elmer gut gebrauchen. Denn seine Glaubwürdigkeit wird in Schweizer Medien seit längerem angezweifelt – ebenso wie die Brisanz der Daten, die sich schon seit 2002 in seinem Besitz befinden. Laut Elmer handelt es sich um die Bankdaten von 2000 Kunden, darunter reiche Einzelpersonen, Firmen und Hedgefonds. Auch 40 Politiker seien dabei, hatte er dem „Observer“ gesagt.
Aus unerfindlichen Gründen haben diese Daten in all den Jahren jedoch keine größeren Wellen geschlagen. 2007 hatte eine erste Teilveröffentlichung auf WikiLeaks zwar zur Verfolgung einiger Steuersünder geführt. Doch als Elmer 2009 dem „Guardian“ im Rahmen einer Artikelserie über Steueroasen Einsicht in die Akten gewährte, schienen die Reporter darin nichts wirklich Spektakuläres gefunden zu haben. Der Artikel erwähnte nur anonym einen mexikanischen Drogenboss, einen brasilianischen Politiker und einen kanadischen Geschäftspartner des Skandalverlegers Conrad Black.
Liegen 20 Billionen Dollar in Steueroasen?
In London sagte Elmer, er habe die Daten auch mehreren Regierungen angeboten, inklusive der deutschen, als Peer Steinbrück noch Finanzminister war. Er habe Steinbrück einen Brief geschrieben, jedoch nie eine Antwort erhalten. Diese Reaktion ist einigermaßen rätselhaft, denn gerade Steinbrück hat sich nie gescheut, den obersten Kämpfer gegen Steuerhinterziehung zu geben. In einem Fall hatte er schließlich sogar Millionen ausgegeben, um an Bankdaten zu kommen.
Man wird nun abwarten müssen, was die WikiLeaks-Untersuchung der Daten ergibt. Es würden nicht alle Namen einfach ins Netz gestellt, versicherte Assange. Stattdessen werde man nach dem WikiLeaks-Prinzip des „wissenschaftlichen Journalismus“ vorgehen. Es dürfte allerdings einigermaßen schwer werden, die Steuersünder von den unbescholtenen Kunden zu trennen. Auch wird es dauern, denn WikiLeaks steckt auch noch mitten in der Auswertung der US-Botschaftsdepeschen – erst 2,3 Prozent der Dokumente sind laut Assange online.
Zumindest eines ist Elmer und Assange bereits gelungen: Für einen Tag haben sie das Licht der Öffentlichkeit auf das Problem der Steueroasen gelenkt. Es gebe eine „massive Wirtschaft, von der die Öffentlichkeit nichts weiß“, sagte der Steueraktivist Christensen. Laut offiziellen Schätzungen lagerten fünf Billionen Dollar in Steueroasen, die wahre Zahl liege jedoch näher an zwanzig Billionen Dollar. Die Offshore-Zentren schützten nicht nur kriminelle Aktivitäten, sie förderten sie auch, so Christensen.
Assange sieht seinem neuesten Kampf gelassen entgegen. Banken hätten mehr Prozesse gegen WikiLeaks geführt als alle anderen Organisationen, sagte er. Keiner jedoch sei erfolgreich gewesen. „Ich erwarte, dass das auch in Zukunft so bleibt.“
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,740018,00.html