Die auf „Data Mining“ spezialisierte Gruppe des „Open Source Center“ nennt sich selbst scherzhaft die „Ninja-Bibliothekare“. Sie suchen in der Masse online veröffentlichter Meinungen und Informationen nach allem, was ihnen wichtig erscheint – von Hinweisen auf die öffentliche Meinung bestimmter Länder bis hin zu Informationen über stattfindende Revolutionen wie unlängst im arabischen Raum. Aus diesen Informationen wird jeden Tag ein „Schnappschuss“ für das Weiße Haus, bestehend aus Tweets, Zeitungsartikeln und Facebook-Updates, zusammengestellt. Täglich sichten die Agenten bis zu 5.000 Tweets. Daneben haben sie auch ein Auge auf lokale Fernseh- und Radiosender und Chatrooms – „alles in Übersee, auf das Menschen zugreifen und zu dem sie offen beitragen können„. Auch Geheiminformationen wie abgehörte Telefongespräche werden zu den in den Sozialen Netzen gesammelten Informationen in Bezug gesetzt, um so ein möglichst stimmiges Meinungsbild zu erhalten. Dabei konzentriert man sich aber ausdrücklich auf Nachrichten aus Übersee – die Verantwortlichen betonen, es gebe „keine Bemühungen, [solche Daten] über Amerikaner zu sammeln„.
Viele der Details der Abteilung unterliegen der Geheimhaltung. So mussten sich Journalisten der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP), die eine Tour des Hauptquartiers erhielten, bereit erklären, weder den genauen Ort der Einrichtung noch die Namen eines Teils der Mitarbeiter zu veröffentlichen.
Doug Naquin, der Leiter des Zentrums, erklärt, seine Mitarbeiter hätten beispielsweise die Aufstände in Ägypten voraussagen können. Sie hätten bloß „nicht gewusst, wann genau es zur Revolution kommt„. Das Zentrum hätte auch „vorausgesagt, dass Soziale Medien an Orten wie Ägypten die Spielregeln verändern und eine Bedrohung für dieses Regime darstellen könnten,“ erklärte Naquin.
Das Zentrum wurde auf eine Empfehlung der „9/11 Commission“ hin gegründet. Seine wichtigsten Aufgaben sind die Terrorismusbekämpfung und die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen („counterproliferation“). Für das Zentrum arbeiten „mehrere hundert“ Agenten – die genaue Zahl unterliegt der Geheimhaltung – die sich mit verschiedenen Themen von der Internetzensur in China bis zur Stimmung auf Pakistans Straßen beschäftigen. Neben den im Hauptquartier in Virginia arbeitenden Agenten gibt es auch eine Reihe von Mitarbeitern, die in den US-Botschaften in aller Welt arbeiten, um näher an der dortigen Bevölkerung zu sein. Zwei der wichtigsten Qualifikationen für die Mitarbeiter sind Fremdsprachen-Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Recherche.
Die Mitarbeiter des Zentrums geben zu, dass die Analyse von Social Media das Risiko beinhaltet, dass bestimmte Bevölkerungsschichten – nämlich die städtische Elite – wesentlich stärker repräsentiert seien als der Rest der Bevölkerung. Zunehmende Möglichkeiten des Zugriffs auf solche Dienste per Mobiltelefon, selbst in vielen afrikanischen Ländern oder ähnlich armen Regionen, sorge aber dafür, dass dieses Risiko kleiner sei, als man vielleicht annehmen würde.
Der stellvertretende Direktor des Zentrums, der anonym bleibt, da er mitunter noch immer undercover arbeitet, erklärte, Seiten wie Twitter und Facebook seien mittlerweile eine wichtige Ressource, um sich schnell entwickelnden Krisen oder sozialen Unruhen zu folgen.
Naquin erklärte, die nächste Generation Sozialer Medien werde wahrscheinlich aus geschlossenen, nur für Abonnenten zugänglichen Mobiltelefon-Netzwerken bestehen, wie sie von den Taliban bereits in Afghanistan und Pakistan verwendet hätten. Diese Netze wären für die US-Geheimdienste nicht mehr so einfach durch das Mitlesen und Analysieren öffentlich zugänglicher Nachrichten zu überwachen. Naquin deutete jedoch an, er traue seinen Kollegen vom technischen Geheimdienst NSA durchaus zu, auch derartige Netzwerke erfolgreich abzuhören.