Eine Datei mit unredigierten Botschaftsdepeschen soll im Netz zugänglich sein, weil ein Vertrauter von Julian Assange angeblich das Passwort dazu veröffentlicht hat.
Im Internet soll eine Datei mit unredigierten und bislang unveröffentlichten US-Botschaftsdepeschen aus der sogenannten Cablegate-Affäre offen zugänglich sein. Das zumindest berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. Neben den Daten soll auch das Passwort zu finden sein, um diese Datei zu öffnen.
Bisher haben Wikileaks und seine Medienpartner diese Botschaftsdepeschen immer erst dann veröffentlicht, wenn die darin erwähnten und zitierten Informanten der US-Botschaften anonymisiert worden sind. Die Datei, die Der Freitag entdeckt haben will, soll dagegen Rückschlüsse auf Informanten und mutmaßliche Geheimdienstmitarbeiter zulassen.
Als Beispiel führt die Zeitung einen Iraner an, der in den Depeschen mit den Worten zitiert werde, die Menschen im Iran versuchten stets, „den Anschein zu erwecken, dass sie diesen blöden, verrückten Mullahs folgen“. Die Person sei genau beschrieben, also identifizierbar für eben jene Mullahs, heißt es in dem Bericht.
Wichtig ist hier, die Informanten auseinanderzuhalten: Gefährdet wäre durch die veröffentlichte Datei nicht die Person, die diese Dokumente einst Wikileaks zur Verfügung gestellt hat (falls es sich nicht um Bradley Manning handelt). Gefährdet wären Personen, die in den Dokumenten erwähnt und beschrieben werden und vor der Veröffentlichung der Dokumente hätten anonymisiert werden müssen.
- Was ist Wikileaks?
- „We open governments„, ist das Motto von Wikileaks: „Wir machen Regierungen transparent“. Die Organisation bietet eine eine Internetseite, über die sogenannte Whistleblower, Informanten also, geheime Akten und Daten an die Öffentlichkeit bringen können. Wikileaks garantiert ihnen dabei dank verschlüsselter Kommunikation und nicht abhörbarer Server Anonymität. Gleichzeitig veröffentlicht Wikileaks das Material auf seiner Seite und macht es damit für jeden zugänglich.
Die Organisation hat dabei zum Grundsatz, Dokumente nur zu veröffentlichen, wenn sie zuvor auf Plausibilität und Wahrheitsgehalt geprüft wurden.
- Cablegate
- Die jüngste Veröffentlichung auf Wikileaks ist unter dem Namen Cablegate bekannt geworden: Im November 2010 hat Wikileaks mit der Veröffentlichung von etwa 250.000 Berichten US-amerikanischer Diplomaten begonnen.
Neben Depeschen, die US-Botschafter über internationale Politiker angefertigt hatten, kamen dabei auch weitere Informationen zu den von Amerika geführten Kriegen ans Licht, aber auch Einschätzungen zur Situation Nordkoreas, den Staaten Südamerikas und dem iranischen Atomprogramm
Am 7. Dezember 2010 wurde der Gründer der Seite, Julian Assange, in England verhaftet, weil gegen ihn ein Haftbefehl aus Schweden vorliegt. Dort wird ihm Vergewaltigung vorgeworfen. Assange bestreitet den Vorwurf. Die schwedische Justiz sagt, dass der Haftbefehl in keinem Zusammenhang mit den Veröffentlichungen durch Assanges Projekt steht. Er selbst behauptet, es handele sich nur um einen Vorwand, um Wikileaks von der Veröffentlichung weiterer Dokumente abzuhalten.
- Die Debatte um Wikileaks
- Fest steht, dass die Cablegate-Veröffentlichungen weltweit Interesse erregten. Vor allem in den USA riefen sie heftige Proteste der Regierung hervor und konservative Politiker forderten, Assange dafür einzusperren. In vielen Ländern führten sie zu einer Diskussion über den Nutzen von Wikileaks und über die Zukunft der Diplomatie: Was geschieht mit den internationalen Beziehungen, wenn im Zweifel jedes geheime Dokument an die Öffentlichkeit gelangen könnte?
Dabei werden von einigen Kritikern auch die Absichten von Julian Assange und seiner Organisation in Zweifel gezogen. Sie sind der Meinung, dass Transparenz kein Selbstzweck sein dürfe, Wikileaks also nicht ausnahmslos alle ihm zugespielten Dokumente ohne Rücksicht auf die Folgen veröffentlichen dürfe.
Wobei Wikileaks selbst immer wieder betont, dass genau das nicht geschieht und dass aus den Dokumenten beispielsweise Namen herausgefiltert würden, um Menschen nicht zu gefährden. Assange bezeichnet sich deshalb inzwischen auch als Chefredakteur, als jemand mit journalistischem Selbstverständnis, wozu gehört, nicht jede Information auch zu veröffentlichen.
- Frühere Leaks
- Gegründet wurde die Plattform von Assange im Jahr 2006. Im Jahr darauf erlangte sie weltweite Bekanntheit, als sie die Richtlinien des US-Militärs veröffentlichte, aufgrund derer im Gefangenenlager Guantánamo Bay die Insassen behandelt und gefoltert wurden.
Im Juli 2010 veröffentlichte die Organisation zuerst geheime Militärdokumente aus dem Afghanistan-Krieg (die Afghan War Diaries) und im Oktober Dokumente aus dem Irakkrieg (Iraq War Logs).
Berichte über Wikileaks und die Debatte um die Veröffentlichungen haben wir nach Themen sortiert auf einer Übersichtsseite für unser Projekt ZEIT für die Schule zusammengestellt. Die gesamten veröffentlichten Artikel zu Wikileaks finden Sie auch auf der Schlagwortseite.
Ob die 1,73 Gigabyte große Datei mit dem Namen cables.csv sogar alle 250.000 existierenden Depeschen in unredigierter Fassung enthält, konnte Der Freitag bisher nicht bestätigen. Möglicherweise ist die Datei nicht neu. Mindestens die norwegische Zeitung Aftenposten hatte auf bislang ungeklärtem Weg im vergangenen Dezember sämtliche Cables erhalten. Es könnte sich also bei den nun aufgetauchten Daten um jene handeln, die auch Aftenposten besitzt.
Neu ist jedoch, dass sowohl die Datei als auch das Passwort, mit dem sie geöffnet werden kann, offen im Netz zu finden sind. Der Freitag hat versucht, zu rekonstruieren, wie es dazu kam. Nach seiner Darstellung hat Wikileaks-Gründer Julian Assange das Passwort an eine ungenannte Person seines Vertrauens weitergegeben. Diese Person habe es veröffentlicht, angeblich im Glauben, es handele sich nur um ein temporäres Passwort. Die Zeitung schreibt, das Passwort bestehe aus einer „Phrase“ und sei „für Kenner der Materie zu identifizieren“.