Die US-Bundespolizei holt zum Gegenangriff aus, in den USA und Europa sind 21 angebliche Anonymous-Anhänger festgenommen worden. Offenbar handelt es sich dabei nicht nur um Hacker – sondern ebenso um politische Aktivisten, die vergangenes Jahr WikiLeaks unterstützen wollten.
Hamburg – 21 Festnahmen in den USA und in Europa, 35 Durchsuchungsbeschlüsse, eine Pressemitteilung mit Klarnamen und zugehörigen Pseudonymen: Das FBI hat am Dienstag zum Gegenschlag gegen die Web-Guerilla Anonymous ausgeholt. Allein 14 Personen wurden in den USA nach Angaben der Ermittler festgenommen, weil sie im vergangenen Dezember bei der Blockade einer Website mitgemacht haben sollen. Bei einer politischen Aktion, nicht bei einem Hackerangriff, so sieht es zumindest die Anonymous-Bewegung.
Hunderttausende diplomatischer Depeschen von US-Botschaften waren in die Hände von WikiLeaks geraten, die Veröffentlichung von pikanten Details verärgerte Regierungen weltweit: Wenige Tage, nachdem die Enthüllung im November des vergangenen Jahres begann, sperrte der Internet-Bezahlanbieter Paypal der Enthüllungsplattform das Spendenkonto.
Wegen „Verletzung der Nutzungsbedingungen“ wurde WikiLeaks abgeklemmt – womöglich auf Druck der US-Regierung oder aber aus vorauseilendem Gehorsam seitens Paypal. Auch Mastercard, Visa und Amazon stellten Dienstleistungen für WikiLeaks ein – woraufhin Unterstützer der Enthüllungsorganisation aus dem Umfeld der Web-Guerilla Anonymous die „Operation Payback“ ausriefen.
Mit massenhaften, automatisch gesteuerten Abfragen legten Anonymous-Anhänger die Websites der Zahlungsdienstleister lahm. Die Webangebote waren durch die „Denial of Service“-Angriffe zum Teil nur schwer zu erreichen – eine aufsehenerregende Aktion, wenn auch kein Hackerangriff im klassischen Sinne. Bisher ist unklar, was die Ermittler auf die Spur der Angreifer brachte.
Ein halbes Jahr später: Zugriff
Doch dass das FBI mehr als ein halbes Jahr später wegen der Web-Blockade 14 Personen festnimmt, ist eine klare Ansage an die digitale Jugendbewegung : Wir beobachten euch, lautet die Botschaft, und wir lassen euch nicht alles durchgehen.
Schwerer wiegen die Vorwürfe gegen zwei weitere junge Männer: So wurde ein 21-Jähriger festgenommen und einem Richter in Orlando vorgeführt. Der Verdächtige soll in den Webserver von InfraGard, einer Partnerorganisation des FBI in Atlanta, eingedrungen sein und dort Dateien deponiert und kopiert haben. Anschließend prahlte er angeblich über Twitter von seinem Hack und erklärte, wie man das System knacken könne. Die Anonymous nahe stehende Gruppe LulzSec feierte die Veröffentlichung von rund 180 Zugangsdaten .
Einen ebenfalls 21-Jährigen schnappten Ermittler in Las Cruces. Ihm wird vorgeworfen, widerrechtlich Tausende Dateien von Servern des Telekommunikationsunternehmens AT&T kopiert und veröffentlicht zu haben . Die Hackergruppe LulzSec brüstete sich im Juni mit dem Hack, der zur „Operation AntiSec“ gezählt wird: Anonymous und LulzSec hatten gemeinsam dazu aufgerufen, alles zu hacken, was zu hacken ist und geheime Dokumente zu veröffentlichen.
Außerdem wurden in den Niederlanden vier und in Großbritannien eine Person festgenommen. In den Niederlanden teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch Einzelheiten mit: Die Verdächtigen sollen einer Splittergruppe namens AntiSec NL angehört haben, die unter anderem in die Seiten der Partnervermittlungsagentur Pepper.nl und des Softwareherstellers Nimbuzz eingedrungen sei. Es handele sich um Männer im Alter von 17 bis 35 Jahren aus verschiedenen niederländischen Städten, erklärte die Staatsanwaltschaft.
„Anonymous kann man nicht ausschalten“
Die Festnahmen seien Teil von „laufenden Ermittlungen“, hieß es. In den USA drohen den Verdächtigen den Angaben zufolge Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren und Geldstrafen in Höhe von 250.000 Dollar.
Anhänger von Anonymous meldeten sich daraufhin über Twitter zu Wort und beschworen ihre angebliche Stärke: „Einige von uns kriegen sie vielleicht, aber sie können uns verdammt noch mal nicht alle kriegen“, heißt es dort. „Entspann dich, Anonymous ist nicht aufzuhalten“, schreibt ein anderer. Dass auch mutmaßliche Blockierer – und nicht nur Hacker – festgenommen wurden, lässt Anhänger über die Polizei spotten, die offenbar nichts Besseres zu tun habe.
Wie sehr die Polizeiaktionen diesseits und jenseits des Atlantiks der Gruppe schaden, ist noch völlig unklar. Bei vorausgegangenen Festnahmen gaben sich die Anhänger bisher unbeeindruckt. „Die Idee Anonymous bietet eine gewisse Sicherheit, man geht in der Masse unter, das ist nicht greifbar“, sagte der Berliner Netzaktivist Stephan Urbach. Er ist sich sicher: „Anonymous kann man nicht ausschalten.“
„Eine Schnittstelle für Geeks“
Die Ermittler wiederum stehen vor dem Problem, dass das lose Netzwerk keine offensichtlichen Führungsfiguren besitzt, sie aber gegen die marodierenden Aktivisten vorgehen müssen. „Es gibt keine Struktur, wenn du den Ideen von Anonymous folgst, bist du automatisch ein Anon“, erklärte am Dienstag ein Teilnehmer in einem offenen Chat-Room der Gruppe. Wer will, kann Aktionen im Namen von Anonymous starten. Viele der angekündigten Operationen gehen im kommunikativen Chaos dann auch unter und finden kaum Unterstützung.
Die Anthropologin Gabriella Coleman von der Universität Princeton in New Jersey sieht in Anonymous „eine Schnittstelle für Geeks, um politisch aktiv zu werden“. Als Geeks gelten extrem versierte Experten eines Fachgebiets, die in ihrer eigenen Welt leben. Kleinster gemeinsamer Nenner bei Anonymous sei der Protest gegen „freiheitsfeindliche Organisationen“, erklärt Colemann.
Erstmals in Erscheinung trat Anonymous im Januar 2008 mit Protestaktionen gegen die Organisation Scientology. Anfang dieses Jahres unterstützte Anonymous die Aufstandsbewegungen in Ägypten und Syrien. Sicherheitsbehörden in den USA und Großbritannien waren unter anderem das Ziel der „Operation AntiSec“, zu der sich Anonymous im Juni mit der Gruppe LulzSec zusammenschloss.
Quelle ; http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,775550,00.html