Berlin (dpa) – Julian Assange wird oft als paranoid und geltungssüchtig beschrieben. Die beiden «Spiegel»-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark haben den Gründer von Wikileaks hingegen «anders erlebt, als er oft dargestellt wird und zuweilen auftritt».
Ihre am Montag veröffentlichte Analyse «Staatsfeind WikiLeaks» verkennt nicht den problematischen Charakter Assanges, sieht in seinem Projekt aber die Chance für einen politischen Reinigungsprozess: Die Offenbarung von Staatsgeheimnissen «macht eine Demokratie stärker, nicht schwächer».
Die beiden Autoren haben Assange im Juli vergangenen Jahres zum ersten Mal getroffen und waren dann an den Gesprächen beteiligt, die zur ersten Auswertung der vertraulichen Depeschen aus US-Botschaften in aller Welt im «Spiegel», im «Guardian» und anderen internationalen Medien führten. Die detailliert beschriebenen Umstände zu diesem bisher nie dagewesenen Vorgang, von Wikileaks intern als «Projekt 8» bezeichnet, lesen sich streckenweise wie ein Politkrimi.
«Assange trägt ein weißes Hemd, ein Jackett und einen Dreitagebart, er ist noch bleicher als sonst und hat einen bellenden Husten.» So beginnt die spannende Reportage über ein Treffen im November in London. Erst verhandeln die Teilnehmer in der «Guardian»- Redaktion. Dann verlagert sich die Diskussion in ein Restaurant im gleichen Gebäude, aber auch bei Rumpsteak und argentinischem Rotwein geht der Streit weiter. Der Wikileaks-Gründer will die Richtigstellung eines ihm nicht genehmen Porträts in der «New York Times», was für den eilends angerufenen Chefredakteur in New York nicht in Frage kommt. Erst am nächsten Tag wird vereinbart, dass die beteiligten Medien ihre Berichte über die Botschaftsdepeschen am 29. November zeitgleich um 22.30 Uhr in ihren Online-Ausgaben veröffentlichen.
Allerdings dachte da niemand an die Schweiz. Ein Kiosk auf dem Badischen Bahnhof von Basel erhielt die gedruckte «Spiegel»-Ausgabe wie stets schon am Sonntagmorgen – während alle anderen sich diesmal bis nach dem Online-Termin gedulden mussten. Radio Basel berichtete so vorab, was die Welt erst später erfahren sollte, und ein flinker Twitterer holte sich auch noch eine Ausgabe «und zwitschert den Inhalt in die ganze Welt» – der Wikileaks-Coup war selbst «geleakt».
Die gründliche Arbeit der beiden Autoren setzt mit der Biografie Assanges ein und stellt den langen Weg bis zur Einrichtung der Website wikileaks.org im Oktober 2006 dar. Hier finden sich interessante Details wie die Verbindung zu der damals auch in Deutschland intensiv geführten Debatte über das Verschlüsselungsprogramm Pretty Good Privacy (PGP) des Amerikaners Phil Zimmermann.
Schließlich beschreiben Rosenbach und Stark auch den «bislang größten internationalen Aufstand im Netz», der von der Entfernung der Domain wikileaks.org und der abrupten Kündigung von Geschäftsbeziehungen mit Wikileaks durch mehrere US-Firmen ausgelöst wird. Dieser Konflikt zwischen etablierten Machtstrukturen und Netz- Aktivisten schwelt weiter. Auf das Wikileaks-Projekt aber kommt nach Einschätzung der Autoren eine größere Aufgabe zu als die nächste spektakuläre Veröffentlichung – nämlich «sich einen klaren, transparenten Aufbau zu geben».
Das in der Deutschen Verlags-Anstalt und im Spiegel-Verlag erschienene Buch ist das zweite einer Reihe von Neuerscheinungen in diesem Jahr. Ebenfalls am Montag erschien im Suhrkamp-Verlag der Sammelband »Wikileaks und die Folgen». In der vergangenen Woche legten Carsten Görig und Kathrin Nord eine Biografie unter dem Titel «Julian Assange. Der Mann, der die Welt verändert (Scorpio-Verlag München) vor. Für den 11. Februar ist dann der mit Spannung erwartete Insider-Bericht von Daniel Domscheit-Berg angekündigt, der unter dem Titel «Inside WikiLeaks» zusammen mit Tina Kopp über seine «Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt» schreibt (Econ-Verlag). Voraussichtlich im April hat Julian Assange das Wort – seine Autobiografie erscheint in Deutschland im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Quelle : sueddeutsche.de