Als am 2. April 2005 der äußerst populäre Papst Johannes Paul II. starb, begann die katholische Kirche nach wenigen Wochen, den Prozess seiner Seligsprechung einzuleiten – wir leben in eiligen Zeiten. Sein Nachfolger Benedikt XVI. setzte zur Beschleunigung dieses Prozesses ganz selbstverständlich auf die Kraft des Crowdsourcing. Über die Homepage des Vatikan (online seit 1997) sollten die Gläubigen über von Johannes Paul II. gewirkte Wunder berichten – jeder Prozess braucht nun mal Zeugen, Indizien und Beweise. Der aktuelle Stand der Dinge: Mit der Seligsprechung ist wohl in näherer Zukunft zu rechnen.
Interessant daran ist der Pragmatismus, mit dem die katholische Kirche das Internet nutzt. So ganz geheuer ist ihr das vermeintlich neue Medium auch nach 20 Jahren noch nicht. Immer wieder sendet der Papst höchst unterschiedliche Signale der Bewertung. Wenn man genau hinsieht, erkennt man jedoch schnell die Linie, die die Kirche mit vielen Institutionen einschließlich des Staates teilt: Wo das Web als Kommunikationsmittel im Dienste der eigenen Sache genutzt wird, ist es gut. Wo Menschen sich dort mit anderen Dingen beschäftigen, ist es zumindest gefährlich, wenn nicht sogar böse.
Dass Benedikt XVI. seine Priester im Januar 2010 zum fleißigen Bloggen aufrief, auf dass junge Menschen via Web mit dem „Leben der Kirche“ bekannt gemacht würden und „das Gesicht Christi“ entdeckten, steht also nicht wirklich im Widerspruch dazu, dass er Ende April dann erklärte, das Internet führe zur „Verschmutzung des Geistes“. Im September war das Web dann wieder „ein wahres Geschenk für die Menschheit“, das die Chance für „eine neue Kultur des Respekts, des Dialogs und der Freundschaft“ biete.
Es ist eben der Zweck, der die Mittel heiligt. Am Wochenende schlug Benedikt einmal mehr in die Skepsis-Kerbe und warnte davor, dass die „unbegrenzten Möglichkeiten des Internets und anderer moderner Technologien“ die jungen Menschen „betäubt“ und nicht zu einem „Wachstum an Menschlichkeit“ beitrüge. Sie liefen Gefahr, zu vereinsamen und die Orientierung zu verlieren. So mancher Offliner und Netz-Skeptiker nickt da weise: So ist das, wissen wir das nicht alle?
Glauben heißt nicht wissen
Nicht wirklich: Wir glauben es nur zu wissen. „Klischeevorstellungen“ nennen das in einer neuen Studie des ifo-Instituts, Bereich Humankapital und Innovation, die Wissenschaftler Ludger Wößmann, Stefan Bauernschuster und Oliver Falck.
Die sind so detailliert gezeichnet wie hartnäckig und kumulieren oft in der Vorstellung, dass die Nutzung des Netzes Menschen zu „kontaktarmen Sonderlingen“ mache. Eine fast konsensfähige Vorstellung, die auch viele Politiker und Eltern teilen (und das, obwohl sich die negativen Effekte bei ihnen selbst nicht einstellen wollen). Geschichten und Berichte über pathologische Extremfälle bestätigen die Legende immer wieder. Doch belastbare Daten, die sie bestätigen könnten, gab es bisher nicht – die Mär vom vereinsamten Internet-Nerd ist rein anekdotisch.
Genau das wollten Wößmann, Bauernschuster und Falck ändern: Ihre ifo-Studie fragt, ob Internetnutzung wirklich dem sogenannten Sozialkapital schade – den Kontakten und den sich daraus ergebenen Nutz- und Vertrauensverhältnissen zwischen Menschen.
… und die Daten erzählen eine andere Geschichte
Was sie fanden, stellt die Mär vom einsam machenden Web regelrecht auf den Kopf: Internetzugang führe unter anderem dazu, dass Menschen sich politisch und ehrenamtlich mehr engagieren, mehr Freunde haben und messbar häufiger Theater, Kino, Konzerte, Bars und Sportveranstaltungen besuchen. Für Web-Nutzer ist das eine Binsenweisheit: Onliner sind eben vernetzter und oft auch informierter – und sie sind Kommunikationsjunkies.
Doch solche Dinge als Binsenweisheit zu nehmen ist etwas anderes, als sie zu messen. Die ifo-Forscher glichen Daten über die Verfügbarkeit eines DSL-Zugangs im Haushalt mit Erkenntnissen über das soziale Verhalten von über 18.000 Personen im sogenannten sozio-ökonomischen Panel miteinander ab. Das Pech vieler Bewohner der östlichen Bundesländer erwies sich dabei als Glück für die Forscher: Dass dort in weiten Bereichen bis heute DSL nicht verfügbar ist, weil die Haushalte mit Glasfaser verkabelt wurden, lieferte wertvolle Kontrolldaten.
Ludger Wößmann: „In diesem Fall ist die Internetverfügbarkeit also dem Zufall geschuldet und nicht einer bewussten Entscheidung, mit der entweder unternehmungsfreudige oder aber auch introvertierte Menschen sich tendenziell eher einen schnellen Internetzugang anschaffen. So können wir sichergehen, dass wir tatsächlich den Einfluss des Internets auf das Sozialverhalten schätzen und nicht umgekehrt.“
Quelle : http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,729118,00.html