In einem von der Whistleblowing-Website WikiLeaks veröffentlichten Telegramm der US-Botschaft in Berlin an unter anderem das Heimatschutz-, Außen- und Justizministerium der USA wird deutlich, welche Befürchtungen die USA vor der Bundestagswahl im September hatten. Sie machten sich viele Gedanken darüber, dass ein Sieg der FDP die gemeinsame Sicherheitspolitik gefährden könnte.
Die Nachricht vom 21. September 2009 – sechs Tage vor dem Wahltermin – beschreibt detailliert die befürchteten negativen Konsequenzen eines FDP-Wahlsieges auf die Kooperation der USA und Deutschlands in der Sicherheitspolitik. Die von US-Botschafter Philip Murphy verfasste Analyse ist überschrieben mit dem Titel „Datenschutz triumphiert über Sicherheit: Implikationen eines FDP-Sieges für die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung„.
Unter Berufung auf aktuelle Meinungsumfragen – die sich später als korrekt herausstellen sollten – prophezeihte Murphy einen Wahlsieg der schwarz-gelben Koalition. Dies, so glaubte Murphy, werde Konsequenzen für die Sicherheitspolitik haben. Die FDP, so der Botschafter, bestehe aus „starken Verteidigern des Bürgerrechts auf Privatsphäre„. Diese Position habe „die FDP dazu gebracht, sämtliche in letzter Zeit in Deutschland vorgeschlagenen Antiterror-Gesetze zu blockieren und Besorgnis über Datenaustausch-Initiativen zwischen den USA und Deutschland sowie den USA und der EU zu äußern„. Die FDP habe laut Einschätzung Murphys in den Debatten der letzten Zeit „Datenschutz-Maßnahmen höher eingestuft als das Bedürfnis von Regierungen, zu Antiterror-Zwecken Informationen auszutauschen„. Die „entschiedenen Ansichten der FDP bezüglich individueller Freiheiten und persönlichen Datenschutzes könnten zu Komplikationen bezüglich der Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden und des Datenaustausches zwischen diesen Behörden führen„. Murphy befürchtete, dass die FDP im Falle einer Regierungsbeteilung sämtliche vorgeschlagenen Sicherheitsgesetze und Datenaustausch-Abkommen „genau überprüfen“ werde.
Murphy beschrieb, Deutschland habe nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Antiterror-Gesetzgebung gestärkt und „die Ermittlungsbefugnisse der Ermittlungsbehörden erweitert“ hätten. Die FDP habe diese Gesetze aus der Opposition allerdings regelmäßig kritisiert. Der Botschafter beklagte, die Kritik der FDP habe sich auch auf den mehrere Datenaustausch-Programme wie den Austausch von Fluggast-Daten zwischen den USA und der EU und das „Visa Waiver Program“, bei dem persönliche Daten von Reisenden weitergegeben werden, ausgedehnt. Auch Antiterror-Gesetzen wie dem BKA-Gesetz habe sich die FDP stets entgegen gestellt. In der Nachricht werden einige kritische Äußerungen führender FDP-Politiker über das BKA-Gesetz zitiert. Zudem befasste sich Murphy auch näher mit der Kritik der FDP an einem Gesetz, das verschiedene „Vorbereitungshandlungen“ terroristischer Straftaten unter Strafe stellt. Die FDP solle gesagt haben, mit diesem Gesetz werde eine Absicht beziehungsweise ein Gedanke, nicht aber eine Tat bestraft. Darüber heißt es, Mitarbeiter des damaligen deutschen Justizministeriums hätten gegenüber US-Agenten angedeutet, diese Kritik sei „gegenstandslose Übertreibung„.
Die Kritik der FDP am Datenaustausch mit den USA sah Murphy offenbar teilweise als Ergebnis mangelhafter Informationen an. Die USA müssten mehr tun, um sicherzustellen, dass deutsche Politiker die US-Datenschutzpolitik begreifen, so die Schlussfolgerung des Botschafters.
„Wäre die FDP ein verlässlicher Sicherheits-Partner?„, so lautet eine Frage, die Murphy in seiner Nachricht aufwarf. Die Antwort fällt eher negativ aus. Die Zusammenarbeit mit der FDP in Sicherheitsfragen könne angesichts der bisherigen Positionen der Partei „problematisch“ sein, so der Botschafter. „Zeitweise sieht es aus, als habe die Fixierung der FDP auf Privatsphäre und Datenschutz den Preis, dass die Partei keine verantwortungsbewussten Ansichten über Sicherheitspolitik entwickelt hat„, meinte Murphy. Die Partei sei zehn Jahre lang in der Opposition gewesen und habe daher keine Erfahrung mit, „Sicherheitsfragen des Internet-Zeitalters anzugehen„. Zudem scheine die FDP „den internationalen Charakter des heutigen Terrorismus und die zunehmende Nutzung des Internets und verwandter Technologien […] durch die Terroristen nicht völlig zu begreifen„. Murphy lobte in diesem Zusammenhang den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die terroristische Bedrohung und die Internet-Nutzung der Terroristen besser verstehe und viel dafür getan habe, Andere für diese Problematik zu sensibilisieren. Keiner der führenden FDP-Politiker habe „ähnliches Verständnis für die Notwendigkeit, eine sinnvolle Balance zwischen persönlichen Freiheiten und Sicherheitsmaßnahmen zu finden, gezeigt„; vielmehr habe man aus politischen Gründen so getan, als schlössen sich diese beiden Ziele gegenseitig aus.
Ein weiterer Absatz befasst sich mit der möglichen – später realisierten – Ernennung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Justizministerin. Auch von ihr erwartete Murphy offenbar unkooperatives Verhalten und eine genaue Überprüfung sämtlicher vorgeschlagenen Datenaustausch-Abkommen.
Ein Mitarbeiter der Antiterror-Abteilung des Außenministeriums wird in der Nachricht mit der Meinung zitiert, die FDP sei unter anderem deswegen so entschieden gegen die genannten Maßnahmen gewesen, weil sie in der Opposition gewesen sei und daher aus politischen Gründen gegen die Regierungspolitik gewesen sei. Daher sei es möglich, dass, sobald sich die FDP in der Regierung befinde, „die Verantwortung der Macht sie womöglich überzeugen würde, eine konstruktivere Haltung zu Antiterror- und Sicherheitsthemen anzunehmen„. Zudem hoffe man darauf, dass, da die FDP nur der kleine Koalitionspartner sei, die CDU/CSU sicherstellen werde, dass deutsche Gesetze „angemessen“ seien und „Ermittlungsbehörden und Sicherheitsbeamte unsere derzeitige enge Zusammenarbeit […] beibehalten„.
Es wäre interessant, zu erfahren, wie die USA die deutsche Politik über ein Jahr nach der Wahl sehen. Einige der Prognosen, die die USA so mit Besorgnis zu erfüllen schienen, sind eingetroffen – so setzt sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beispielsweise vehement und bisher erfolgreich gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ein. Auch beim Datenaustausch mit den USA gibt man sich skeptisch. Keine „konstruktivere“ Position in Sachen Sicherheitspolitik also? Bisher scheint es so, und den USA dürfte dies nicht gefallen. Es wird sich zeigen, welche Auswirkungen das zukünftig auf die Beziehungen beider Länder haben wird oder ob die FDP doch noch einlenkt. Es ist jedenfalls interessant, deutsche Innen- und Sicherheitspolitik aus dem Blickwinkel des US-Botschafters analysiert zu sehen. Man darf gespannt sein, welche weiteren „Cables“ zu diesem Themenkomplex noch auftauchen.
http://www.gulli.com/news/cablegate-fdp-kein-verl-sslicher-sicherheitspartner-f-r-die-usa-2010-12-08